Kryson 02 - Diener des dunklen Hirten.epub
stehen, um sich zu orientieren. Das Licht, selbst wenn es eher schummrig als hell war, blendete seine an die Dunkelheit gewöhnten, empfindlichen Augen und die Sicht wurde durch dicke in der Gaststube hängende Dunst- und Rauchschwaden eingeschränkt. Die Luft war dermaßen schwer, dass er die einzelnen Gerüche kaum zu trennen vermochte und es ihm beinahe den Magen umdrehte – obwohl dieser bedenklich leer war. Es roch nach lauwarmem Met, schwerem, gesüßtem Wein, Bohneneintopf mit abgehangenem Fleisch, Schweiß in unterschiedlichen Varianten, süßem Tabak und nach Erbrochenem. Im ersten Augenblick hätte Sapius die Tür am liebsten wieder zugeschlagen und wäre draußen an der frischen, klaren Luft des nächtlichen Waldes geblieben. Doch das beißende Loch in seinem Magen und das dumpfe Gefühl, etwas zu verpassen, trieben ihn in die Gaststube und ließen ihn die Tür hinter sich schließen. Dieses seltsame Gefühl hatte ihn von Beginn seiner Wanderschaft, die er nach dem Ende der Schlacht an den Ufern des Rayhin angetreten hatte, begleitet und war in den letzten Tagen stärker geworden. Irgendetwas hatte ihn dazu gebracht, ihm den Gedanken eingepflanzt, den »silbernen Baumwolf« aufsuchen zu müssen. Es war nur sehr vage, aber immerhin ausreichend, um ihn in seiner Entscheidung über den einzuschlagenden Weg nach Tartyk zu beeinflussen.
Einige Köpfe der in der Schankstube anwesenden Gäste drehten sich neugierig in Richtung des Neuankömmlings und musterten ihn entweder misstrauisch oder gelangweilt. Andere ließen sich überhaupt nicht von ihrer momentanen Beschäftigung ablenken und spielten weiter Karten, aßen ihren ranzigen Bohneneintopf oder tranken grölend und lachend ihren schweren Wein aus hölzernen Bechern.
Viel konnten sie ohnehin nicht erkennen. Gesicht und Hände blieben verborgen. In der Tür stand ein schlankes, buckliges Wesen mit einer schiefen Haltung, das sich auf einen knorrigen Stab stützte. Die Erscheinung in dem abgewetzten grauen Gewand wurde als unscheinbar, langweilig und damit uninteressant eingestuft. Diese Wahrnehmung kam Sapius durchaus gelegen. Er suchte sich einen freien Tisch in einer dunkleren Nische und setzte sich. Kaum hatte er Platz genommen, wankte eine überall gut gepolsterte, vollbusige Klanfrau mit kupferrotem Haar auf seinen Tisch zu. Mit ihren rosigen Wangen, den vollen Lippen und starken Armen sah sie außerordentlich gesund und kräftig aus, trug ein großes Tablett vor sich her und hatte sich eine schmutzige Schürze um das viel zu enge blaue Wollkleid gebunden, das ihre ohnehin schon üppigen Rundungen noch deutlicher zum Vorschein brachte. Sie trug ihr Haar hochgesteckt, wobei ihr eine Locke frech in die Stirn fiel und ihr zusammen mit den hellgrünen Augen ein leicht verruchtes Aussehen verlieh. Dieses Weib löst bei so manchem Gast mit Sicherheit feuchte Träume aus, dachte Sapius und war sich bewusst, dass ihre sinnliche Weiblichkeit bei ihm selbst ganz ähnliche Gefühle hervorrief. Die Frau stellte das leere Tablett auf den Tisch, baute sich vor Sapius auf, stemmte die Hände keck in die Hüften und setzte ihr strahlendstes Lächeln auf.
Welch erstaunlich weiße und gesunde Zähne sie doch hat. Ihr scheint es tatsächlich an nichts zu mangeln. Sie wäre eine geradezu ideale Zuchtstute für die Brutstätten der Rachuren, ging es Sapius überraschenderweise durch den Kopf. Er konnte sich nicht erklären, warum der »silberne Baumwolf« von den Übergriffen der Rachuren verschont geblieben war.
Sofort schämte er sich für den Gedanken, denn das grausame Schicksal der von den Rachuren zum Zwecke der Zeugung von Chimären geschändeten Frauen war alles andere als wünschenswert. Im Gegenteil, es war das schrecklichste Leben überhaupt, das sich der Magier für eine Frau vorstellen konnte.
»Guten Abend, mein Herr. Ich bin Pafilia. Was darf ich Euch bringen?«, fragte die Bedienung den neuen Gast.
»Oh … was habt Ihr anzubieten? Ich habe Hunger und Durst«, lächelte Sapius freundlich zurück.
»Nun … es gibt noch einen Rest an Bohnen mit Fleisch. Ich könnte Euch noch eine Brotsuppe mit Met bringen. Die ist aber von gestern.« Sie trat ein Stück näher an Sapius heran und begann zu flüstern, wobei sie sich vorsichtig in Richtung des Tresens umsah, an dem der Wirt ihr Tun mit kritischen Augen verfolgte. »Wenn Ihr mich fragt, solltet Ihr die Bohnen nehmen und das Fleisch darin lieber aussortieren. Die Bohnen sind frisch, aber die Herkunft und
Weitere Kostenlose Bücher