Kryson 02 - Diener des dunklen Hirten.epub
Kaysahan, »die Bewahrer nehmen keine Anweisungen entgegen, Herr. Nicht einmal von Euch. Sie sind unabhängig und sehen Eure Worte als wohlgemeinten Rat oder als Bitte, der sie je nach Wunsch und Lage entweder Folge leisten oder eben nicht.«
»Unabhängig? Die Bewahrer existieren nur, weil ich es ihnen erlaube. Ihr Bewahrer seid dreist, zu dreist für meinen Geschmack. Nichts weiter«, ereiferte sich der Regent. »Dir und deinen Ordensbrüdern mangelt es an Respekt vor dem Sohn der Kojos. Das ist leider nichts Neues. Aber ich werde diesen Zustand im Namen der Kojos sehr bald ändern. Weder dein hoher Vater noch dieser Madhrab oder du selbst hattet jemals einen Funken Anstand in eurem Leib. Lass dir eines gesagt sein: Sollte ich noch einmal erfahren, dass du dich zwischen die Schenkel meiner Tochter drängst, lasse ich mir deinen Kopf und deinen Schwanz auf einem Tablett servieren. Bewahrer hin oder her. Du hast sie das letzte Mal bestiegen.«
Durch die Anschuldigung unerwartet überrumpelt und zutiefst getroffen errötete Lordmaster Kaysahan in für ihn ungewohnter Weise. Er hatte keineswegs damit gerechnet, dass der Regent über die Liebschaft zwischen ihm und dessen Tochter Raussa informiert sein könnte. Sie war jung und sie war schön – daran war nicht zu zweifeln. Raussa hatte ein Auge auf den attraktiven Bewahrer geworfen. Er hatte sich ihrer Verführungskunst wegen schon einige Male hinreißen lassen, ungeachtet der Folgen seiner Stellung am Hofe des Regenten und des tadellosen Rufes als Lordmaster der Bewahrer. Ein schwerer Fehler, wie er nun zu seinem Bedauern feststellen musste. Es hatte keinen Sinn, die Liebschaft abzustreiten. Die gemeinsamen Nächte mit Raussa machten ihn angreifbar und im schlimmsten Fall sogar erpressbar. Kaysahan hatte keine Idee, wie er sich aus dieser Situation schadlos herausmanövrieren sollte.
»Verschwenden wir nicht meine und die wertvolle Zeit meiner Gäste. Bevor ich also den Brief deines hohen Vaters öffne«, fuhr der Regent ungeduldig fort, »was hast du mir zu berichten?« Der Regent hob die von der Gicht geschwollenen Finger und rief seinen ersten Diener zu sich. Darfas erhob sich auf das Zeichen seines Herrschers sofort und eilte auf das Podest. Der Regent flüsterte ihm einige Worte zu, woraufhin der Diener schnell verschwand und nur wenig später in Begleitung des obersten Praisters Thezael und des Fürsten Fallwas zurückkehrte.
Der Fürst war eine charismatische, elegante Erscheinung. Ein stattlicher Klan mittleren Alters mit grau meliertem Haar an den Schläfen, stechenden Augen und einer außerordentlich geraden, aufrechten Haltung. Eine ungewöhnliche Aura der Macht umgab den stets perfekt und teuer gekleideten Mann. Der Bewahrer kannte den ehrgeizigen Fürsten gut, dessen erstgeborener Sohn, Master Chromlion, bei den Bewahrern diente. Kaysahan mochte den am Hofe des Regenten einflussreichsten Fürsten der Klanlande nicht sonderlich. Dennoch respektierte er dessen Stellung und anerkannte dessen Einfluss und das wirkungsvolle Auftreten.
Der Praister Thezael hingegen wirkte in seiner dunkelroten, mit Goldfäden durchwirkten Robe und mit seinem blassen Gesicht eher unscheinbar. Ihn zu unterschätzen wäre allerdings ein fataler Fehler gewesen. Kaysahan wusste das. Der oberste Praister war berüchtigt wie die giftige Fjoll-Spinne, die in ihrem unsichtbaren Netz auf ein unvorsichtiges Opfer lauerte. Thezael besaß viele Verbindungen, geheime wie bekannte gleichermaßen, die ihn zu einem äußerst gefährlichen und unbequemen Gegner machten, wenn es jemand wagen sollte, sich ihm und seinen Interessen in den Weg zu stellen.
Der oberste Praister und Fürst Fallwas galten als die ersten Berater des Regenten. Es war durchaus bekannt, welches bedingungslose Vertrauen Haluk Sei Tan den beiden Männern entgegenbrachte. Ein Gegner hatte es deshalb schwer, dieses Gespann zu diskreditieren oder seine Loyalität dem Regenten gegenüber infrage zu stellen, obwohl tatsächlich beinahe jeder wusste, dass die zwei nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht waren und ihnen der Regent oder dessen Wohlergehen im Grunde vollkommen gleichgültig war.
Sie waren die Puppenspieler, die im Verborgenen an den Fäden der Macht zogen und die eigentlichen Geschicke der Klanlande bestimmten, selbst wenn sie vorgaben, Haluk Sei Tan sei derjenige, der die wichtigen Entscheidungen traf. Das Gegenteil war der Fall. Der Regent und die ihm folgenden Klan tanzten nach ihrer Musik.
Lordmaster
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