Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kryson 03 - Zeit der Dämmerung

Titel: Kryson 03 - Zeit der Dämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Rümmelein
Vom Netzwerk:
Knabenstimme.
    »Bitte …«, stammelte Sapius vor Erregung, »dreht Euch zu mir, junger Herr, damit ich Euch ansehen kann.«
    Quälend langsam drehte Tomal den Kopf und sah dem Magier direkt in die Augen. Sapius wurde blass und verlor beinahe die Besinnung. Er taumelte einen Schritt zurück, aber es war bereits zu spät. Dieser Prüfung würde er nicht entgehen. Die Macht packte ihn und warf ihn dem Kind direkt in die Arme. Schutzlos war der Magier dem Geschehen ausgeliefert. Der Junge sah ihm nicht nur in die Augen. Er sah tiefer, viel tiefer. Sapius fühlte, wie ihn der Blick des Fürstensohns durchbohrte, in seinen Gedanken wühlte, all seine Erinnerungen – gute wie schlechte – hervorholte und sich genüsslich daran labte. Eine Kälte überkam Sapius, die sein Herz für zehn Schläge zum Stehen brachte und seinen Leib erzittern ließ. Fröstelnd, mit schlotternden Knien und klappernden Zähnen, stand er vollkommen entblößt vor Tomal, der das Innerste des Magiers nach außen kehrte. Dunkelheit umfing seine Gedanken. Er fürchtete sich und fühlte sich gedemütigt. Nie zuvor war Sapius sich dermaßen nackt und hilflos vorgekommen wie in diesem Moment der Begegnung mit Tomal. Weder der Angriff Quadalkars noch die letzte Begegnung mit Malidor vor seinem Tod hatten eine solche Intensität und Todesangst in ihm hervorgerufen. Es schien ihm, als stürbe er und würde zugleich neugeboren. Es gab für Sapius keinerlei Zweifel mehr, wen oder was er hier vor sich hatte. Tomal war der Lesvaraq, dessen Begegnung er kaum hatte erwarten können. Und er war das Kind Elischas und Madhrabs. Die in vielen Zügen frappierende Ähnlichkeit vor allem mit Elischas Gesichtszügen war unverkennbar. Die unterschiedliche Farbe seiner Augen verriet Sapius ebenfalls deutlich dessen Abstammung. Mindestens ebenso viele eindeutige Merkmale hatte Madhrab dem Kind zuteilwerden lassen, was vor allem die markante Form des Schädels, Nase und Ohren sowie Kinn und die Hände betrafen. Allerdings machte Sapius die in der Gegenwart des Lesvaraq empfundene Kälte stutzig, die den anderen Anwesenden anscheinend nichts auszumachen schien. Sie bestand offenbar nur zwischen ihm und dem Lesvaraq durch eine persönliche Verbindung. Obwohl er kaum einen klaren Gedanken fassen konnte, versuchte Sapius, während der Lesvaraq das Wissen und die Erinnerungen des Magiers absog und wie ein ausgetrockneter Schwamm in sich aufnahm, sich aus der Starre zu lösen und die mächtige Erscheinung, die mit jedem Augenblick für ihn größer und größer zu werden schien, eingehender zu betrachten.
    Es gab nur eine Erklärung für die Gefühle, die Tomal in ihm auslöste. Sapius hatte den Lesvaraq der Dunkelheit vor sich. Dies war der wahre Erbe Ulljans. Alle Umstände deuteten darauf hin. Die Augen, der Blick, die Kälte, die Demütigung und die plötzliche Umnachtung der eigenen Gedanken. Dabei hatte Tomal nichts anderes getan, als sein Gegenüber zu erforschen und sich dort vorhandenes Wissen für sich selbst nutzbar zu machen. Plötzlich änderte sich der Blick Tomals und die Kälte verschwand. Die Gedanken des Magiers wurden erhellt und er spürte eine wohltuende Wärme durch seinen Körper fließen.
    Das Wechselbad der Gefühle verunsicherte ihn. Erst die Kälte und die Dunkelheit, dann die Wärme und das Licht. Woher rührten diese Gegensätze in einem Lesvaraq? Es gab nur eine einzige logische Erklärung dafür: Tomal trug das Zeichen der Macht zweimal. Er war ein Doppelträger. Dies hatte es auf Kryson noch nie zuvor gegeben. Das Unmögliche war eingetreten. Ein Zeichenträger, der womöglich beide Pole der Macht in sich vereinigte. Licht und Schatten in einem einzigen Lesvaraq.
    Wie passt das zusammen? Es gibt einen weiteren Lesvaraq bei den Naiki. Trägt dieser ebenfalls das doppelte Zeichen oder ist dieses Phänomen einzigartig? Was hat das zu bedeuten? Wie wird sich die Verteilung im Einzelnen auswirken und das Gleichgewicht der Macht beeinflussen?, stellte sich Sapius Fragen, für deren Beantwortung er viel Zeit brauchen würde. Tomal grinste den Magier breit an. In jenem Moment wirkte der Lesvaraq, als wäre er nichts anderes als ein kleiner, frecher Junge, der soeben einen gelungen Streich ausgeheckt hatte, und Sapius war ihm auf den Leim gegangen. Aber natürlich war der Lesvaraq im Geiste kein Kind. Im Gegenteil, schon jetzt verfügte er über immense Kräfte und war sich dessen voll bewusst. Tomal spielte damit und setzte ein, was ihm geschenkt

Weitere Kostenlose Bücher