Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
lassen. Aber wir wissen es besser. Die schändliche Tat entging den Steinen nicht. Es war ein feiger und hinterhältiger Mord, den Ulljan absichtlich begangen hatte. Pavijur stand ihm im Weg, und Ulljan musste unbedingt den immer wiederkehrenden Zyklus der Lesvaraq durchbrechen, wenn er eine eigene Ordnung schaffen wollte, die das Gleichgewicht allerdings nicht zu sehr ins Wanken bringen durfte. Die Verteilung der Kräfte auf verschiedene Schultern war daher zwingende Voraussetzung für das Gelingen des Plans, der ihm am Ende aber aus den Händen glitt und ihn kläglich scheitern ließ. Dennoch war die Saat für eine neue Ordnung gelegt, und sie ging auf, nachdem die eigenen Schüler seinen Körper und Geist vernichtet hatten. Stimmt es etwa nicht, Goncha?«
»Doch, mein König, Ihr sprecht wahr«, antwortete Goncha eifrig.
Vargnar stand mit offenem Mund vor seinem Vater und wollte nicht begreifen, was ihm der König soeben freimütig eröffnet hatte. Der Mythos um den letzten Lesvaraq war eine Ernüchterung, aufgebaut auf einem einzigen Lügengespinst, erwachsen aus Machtgier, das sich im Lauf der Sonnenwenden in den Köpfen der Völker festgesetzt hatte und somit zur unumstößlichen Wahrheit geworden war. Wie sollte er sich mit diesem Wissen frohen Mutes auf die Suche nach dem Buch machen? Warum sollte er einem Lesvaraq je wieder trauen oder gar dienen? War es richtig, diesen schützen zu wollen, oder sollte er sich auf den Weg machen, diesen zu töten, solange eine solche Tat noch möglich war? Der Prinz war verunsichert.
»Was soll ich tun?«, wandte sich Vargnar fragend an seinen Vater.
»Deiner Bestimmung wirst du nicht entgehen können, mein Sohn. Es ist schon richtig, dass das Buch gefunden werden und in die richtigen Hände gelangen muss. Mit der Hilfe des Buchs können die Saijkalrae-Brüder endgültig überwunden werden und die alte Ordnung der Zweifaltigkeit wiederhergestellt werden. Die Prophezeiung spricht von einem Felsgeborenen. Es gibt keinen Zweifel, dass du derjenige bist, der den sieben Streitern angehört und sich auf die Suche begibt. Die sieben Streiter müssen zusammenkommen. Dann finde das Buch mit der Hilfe der Gefährten. Aber überlege dir gut, wem du es am Ende überlässt. Die Neider werden zahlreich sein und du wirst dich schützen müssen, denn jeder will diesen unermesslich wertvollen und mächtigen Schatz für sich haben. Das Wissen um das Geheimnis des Lebens, ewiges Leben und ein Quell des immerwährenden Jungseins, wird Begehrlichkeiten wecken, die vor feigem Mord nicht zurückschrecken. Ich will dich nicht verlieren und bitte dich deshalb, bereite die Suche sorgfältig vor und prüfe, wie du vorgehen wirst. Es besteht kein Grund zur Eile. Dennoch solltest du dich bald auf den Weg machen und nach den sechs anderen Mitstreitern suchen.«
»Hast du die Prophezeiung entschlüsselt, Vater? Kennst du all meine Gefährten?«
»Ich kenne sie nicht, aber ich habe eine Ahnung, wie du sie finden kannst. Goncha wird meine Vermutung gewiss bestätigen. Der erste Streiter ist ein Lesvaraq, was nicht schwer zu erraten war. Der zweite ist ohne jeden Zweifel ein Gestaltwandler. Ich vermute, dass es sich um einen Naiki handelt, wegen des Hinweises auf einen Jäger. Der dritte wird sich beizeiten zu erkennen geben, dessen bin ich mir sicher. Das dunkle Blut spricht für einen Saijkalsan, der sich dem dunklen Hirten verschrieben hat. Auch beim vierten Gefährten nehme ich an, dass es sich um einen Naiki handelt. Der unschuldige Geist und die Stärke sprechen für einen der seltsamen Maiko-Naiki, die aus reinster Inzucht hervorgegangen sind. Ein freier Magier ist der fünfte Streiter, das ist eindeutig. Er hinterlässt überall Spuren auf Ell. Auf ihn wirst du wahrscheinlich zuerst treffen. Du selbst bist der sechste Streiter. Der siebte ist für mich eine Herausforderung. Ich vermute, dass er einem Fluch zum Opfer gefallen ist. Womöglich handelt es sich um einen Bluttrinker«, führte Saragar seine Überlegungen über die sieben Streiter aus.
»Ich danke dir, Vater! Das ist eine sehr große Hilfe«, antwortete Vargnar.
»Schon gut. Nun geh und lass mich für eine Weile allein in der Halle, damit ich das Gefühl, wieder ein König zu sein, noch ein klein wenig genießen kann. Selbst wenn es nur eine Illusion bleiben sollte, so ist es doch besser als nichts«, lächelte der König.
Vargnar verstand und verabschiedete sich mit einer Verneigung von seinem Vater. Mit Goncha auf der Schulter
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