Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
ich in keine weitere Falle geraten. Und sieh zu, dass die Zwillinge gut untergebracht werden.«
Madsick ließ den Kopf betrübt sinken und flüsterte für die Ohren der anderen unhörbar: »Ihr werdet nicht so bald zurück sein, wenn Ihr überhaupt jemals wieder aus der Tiefe emporsteigen solltet.«
Madhrab nahm Yilassa zur Seite, um Ihr die Situation zu erläutern und einige Informationen mitzuteilen, die er aus dem Streitgespräch mit Boijakmar entnommen hatte. Der Lordmaster überreichte ihr sein Schwert Solatar und die Runenrüstung, damit sie diese für ihn aufbewahre. Yilassa war zunächst überrascht, dass der Lordmaster ohne Waffen und Rüstung in die Grube steigen wollte, verstand jedoch alsbald seine Beweggründe, nachdem er mit seinen Erklärungen geendet hatte. Er musste sich dem Urteil stellen, wollte er in Zukunft frei sein. Es gab nur diese Möglichkeit, sich von den Vorwürfen reinzuwaschen und der Verfolgung auf Dauer zu entgehen. Doch damit hätte er im Zweifel leben können, einsam als Gejagter in einer dunklen und kalten Welt. Nicht jedoch ohne seine Liebe und seine Freunde.
»… eines noch«, sagte Madhrab, »achte auf den Jungen. Er hat etwas Besonderes, aber ich weiß noch nicht, was genau seine Fähigkeiten für Kryson bedeuten. Er schwebt in großer Gefahr. Ich weiß nicht, ob ihm das bewusst ist. Die Schatten sind hinter ihm her. Vielleicht erfahre ich in der Grube mehr. Ein weiterer Grund, den Abstieg zu wagen. Um seinen Vater werde ich mich kümmern, sollte er mir im Verlies begegnen. Boijakmar sagte mir, Sick sei am Leben. Sollte ich ihn nicht antreffen oder mir zuvor etwas zustoßen, musst du mir versprechen, ihn nicht an den Jungen heranzulassen.«
»Aye«, bestätigte Yilassa, »Ihr könnt Euch auf mich verlassen, Lordmaster. Ich schütze Madsick und die Zwillinge mit meinem Leben.«
»Das ist gut…«, sagte Madhrab, nahm Yilassa freundschaftlich in den Arm und drückte sie fest an sich, »… dann bis bald.«
»Hoffentlich! Lasst Euch nicht bezwingen!«, antwortete Yilassa. »Die Bewahrer brauchen Euch, und wir ebenso.«
Nervös lief Boijakmar in seiner Kammer auf und ab. Die Begegnung mit Madhrab hatte ihn aufgeregt. Er wollte es sich nicht eingestehen, aber er hatte jeden Augenblick damit gerechnet, dass ihn Madhrab für das, was er ihm in den vergangenen Monden angetan hatte, richten würde. Nichts dergleichen war geschehen. Im Gegenteil, Madhrab hatte sich darauf eingelassen, sich dem Urteil und damit dem ungewissen Schicksal in der Grube zu stellen. Das war eine Überraschung, mit der Boijakmar nicht gerechnet hatte. Was hatte Madhrab vor? Der hohe Vater musste sich sammeln, um einen klaren Kopf zu bewahren. Was wusste der Lordmaster über die Vergangenheit des Overlords?
Madhrab erwähnte das dunkle Mal? Was hat ihm Quadalkar gesagt, bevor er starb? Die Fragen quälten den hohen Vater. Warum stellt er sich dem Urteil? Weshalb jetzt, da er die Bluttrinker geschlagen und die Häuser befreit hat? Er hätte als Befreier einziehen können und ein Großteil des Ordens wäre ihm gewiss ohne zu zögern gefolgt. Stattdessen zeigte er sich nachgiebig und nahm das Urteil an. Ich verstehe ihn nicht nach allem, was er erleiden musste. Und wo bei allen Kojos bleibt mein verdammter Schatten?
Der hohe Vater ließ sich in einen mit Leder und Fellen bezogenen Sessel fallen und dachte angestrengt nach. Von Schuldgefühlen geplagt versteckte er sein Gesicht in den Händen.
Was habe ich getan?, dachte er. Mein Sohn! Er sollte mir als Overlord nachfolgen. Madhrab war vielleicht der einzig wahre Sohn, den ich je hatte, und ich habe ihn auf das Schändlichste verraten und verkauft. Wofür? Die Zeit der Dämmerung brachte die Dunkelheit über Ell. Das Gleichgewicht wankt. Was verlangst du von mir, Ulljan? Ich fühle mich alt und müde. Ist die Bewahrung deines Erbes dieses Opfer wert?
Der Overlord wusste, dass er keine Antwort erhalten würde. Ulljan war von den Saijkalrae vernichtet worden, vor vielen Sonnenwenden schon. Doch bis heute hatte der Orden der Sonnenreiter das Erbe und die Erinnerung an den letzten Lesvaraq aufrechterhalten. Boijakmar zweifelte allerdings daran, ob die meisten Bewahrer die Lehren, das Erbe und die Regeln nach so langer Zeit noch in all ihrer Bedeutung und der Sinnhaftigkeit ihrer Existenz richtig verstanden. Die Zeiten hatten sich stark geändert, seit die Macht der Magie in den Händen der Saijkalrae gebündelt und diese durch einen ihrer Diener in den ewigen
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