Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
willenloses Werkzeug des Krieges geschaffen, das Euren Weisungen bedingungslos folgen wird. Außer seinem Hass und dem Gedanken an Rache habt Ihr ihm nichts gelassen. Er wird nicht in der Lage sein, eine Eroberungsarmee wie ein umsichtiger Rachurengeneral zu führen«, erwiderte Nalkaar.
»Nun …«, überlegte Rajuru kurz, während sie sich aufrichtete und dem Todsänger aus voller Überzeugung antwortete, »… Ihr habt mich durchschaut. Aber Ihr kennt Grimmgour und die ungeheuere Kraft, die in ihm schlummert. Und Ihr kanntet ihn vor dem Missgeschick mit Madhrab dem Bewahrer. Er war damals keineswegs besonnen und machte, was immer er wollte. Grimmgour muss die Truppen nicht führen, um respektiert zu werden. Das musste er nie. Sie werden ihm aus freien Stücken folgen, weil sie ihn fürchten. Und sie fürchten sich zu Recht. Er ist grausamer geworden. Darüber hinaus erwarte ich, dass Ihr ihn begleiten werdet, sobald Ihr aus Tartyk zurück seid. Den Rest übernehme ich. Ich sehe durch seine Augen und leite meinen Sohn, wann immer dies notwendig sein sollte. Bereitet Euch auf Eure Abreise vor. Der Weg nach Tartyk ist nicht weit. Ihr solltet die Aufgabe innerhalb von zwei Monden erledigt haben.«
Nalkaar schwieg, denn er wusste, dass es zwecklos war, Rajuru zu widersprechen und von ihrem Vorhaben abzubringen, so sinnlos es ihm auch erschien. In ihrer Sturheit glich sie Grimmgour und duldete meist keine Widerrede. Ihre Bestrafungen für Ungehorsam waren nicht weniger grausam als die ihres Sohnes. Angst war der ständige Begleiter der Untertanen in Rajurus Gegenwart.
Die Machtbesessenheit ist ihr zu Kopf gestiegen, dachte er bei sich. Sie hat ihr eigen Fleisch und Blut eiskalt geopfert, um sich die Niederlage gegen die Klan und den Echralla Dar nicht eingestehen zu müssen. Rajuru wird nicht ruhen, bis sie ihr Ziel erreicht hat, und sie wird mich, ohne nachzudenken, genauso opfern, sollte sie dies für notwendig erachten.
Die Herrscherin der Rachuren hatte sich einen Plan zurechtgelegt. Diesen würde sie bis zum Ende verfolgen. Natürlich hatte die Saijkalsanhexe Nalkaar eine wesentliche Rolle bei ihren Überlegungen zugedacht. Er hatte nichts anderes erwartet. Schließlich brauchte sie jemanden, den sie für ein mögliches Scheitern am Ende verantwortlich machen konnte, und vor allem einen, der die schmutzige und gefährliche Arbeit für sie erledigte. Die Idee, einen Flugdrachen der Tartyk für die Zucht von Chimären einzusetzen, war in Nalkaars Augen mehr als verwegen, wenn nicht sogar unmöglich. Und doch hatte eben diese Vorstellung einen gewissen Charme, was den Todsänger reizte. Rajuru besaß Mut, das musste er ihr lassen. Das Unangenehme daran war nur, dass Mut und Entschlossenheit seiner Gebieterin ausgerechnet ihn selbst am meisten trafen.
Rajuru rief die Leibwächter und gab Nalkaar ein Zeichen, dass er ihnen folgen sollte. Ayomaar und Onamaar stampften mit schweren Schritten voraus durch die Palastflure. Wie ihm geheißen folgte Nalkaar ihnen auf dem Fuße. Rajuru bildete mit einigem Abstand den Schluss. Vor einer großzügigen, aber sparsam eingerichteten Zelle machten sie halt und die Hexe holte sie mit wenigen Schritten ein.
»Ich denke, es wird Zeit, Euch das Werk eines wahren Meisters anzusehen. Begrüßt Grimmgour und erweist ihm den Respekt, der dem Sohn der Rajuru zusteht, Todsänger«, herrschte ihn Rajuru an.
Onamaar schloss die Zelle auf und schubste Nalkaar unsanft hinein. Auf einer für seine Größe zu kleinen, in die Wand eingelassenen hölzernen Pritsche lag Grimmgour. Sein Blick war starr zur Decke gerichtet. Bestimmt konnte er dort nicht viel sehen, dafür war es zu dunkel in der kargen, unbeleuchteten Behausung. Nalkaar hatte das Gefühl, als nehme der Krieger die Besucher überhaupt nicht wahr. Er war wach und doch wirkte Grimmgour abwesend, so als verweilte er in einer anderen Welt oder träumte mit offenen Augen.
»Steh auf!«, befahl Rajuru ihrem Sohn.
Grimmgour erhob sich von seinem Lager und blieb neben der Pritsche stehen. Seine Bewegungen wirkten steif. Nalkaar konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie nicht von ihm selbst kamen, sondern von Rajuru gesteuert wurden. Er erinnerte sich an das Bild eines Puppenspiels, das er lange vor seinem Unfall auf einem Jahrmarkt in Tut-El-Baya beobachtet hatte. Dort hatte ein unsichtbarer Puppenspieler eine Marionette an Fäden über die Bühne bewegt. Der Unterschied lag nur darin, dass diese übergroße wie massige Puppe
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