Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
noch die Monde zu zählen, und als dies ebenfalls zu viele wurden, die Sonnenwenden. Sieben lange Sonnenwenden – ohne ein Zeichen von Madhrab – mussten vergehen, bis sie das Zählen schließlich ganz eingestellt hatte.
Inzwischen hatte sie sich an das harte Leben in der Burg an der Felsenküste im Osten Ells gewöhnt, soweit von einer Gewöhnung in ihrer Lage überhaupt die Rede sein konnte. Sie war die niederste Magd im Fürstenhaus und wurde wie eine Sklavin behandelt. Drei Kinder hatte sie dem Fürsten Chromlion in der Zeit geboren, zwei Bastardsöhne und eine Tochter. Kinder, die ihr nach der Geburt weggenommen wurden und in den Gemächern des Fürsten zunächst von einer Amme, anschließend von einem Kindermädchen und einem Hauslehrer aufgezogen wurden. Elischa bekam die Kinder, wenn überhaupt, nur aus der Entfernung und mit gesenktem Haupt oder auf den Knien rutschend zu Gesicht. Aber das war ihr gleichgültig. Ohnehin wurde ihr Leben seit vielen Sonnenwenden schon von einer Kälte und Gleichmut bestimmt, die sich die Orna nie zuvor hatte vorstellen können. Gewalt und Demütigung gehörten zu ihrem gewöhnlichen Tagesablauf. Sie hatte ihr Herz verschlossen und ihren Verstand ausgeschaltet, um sich zu schützen. Das gelang ihr nicht immer. Mit jedem weiteren Tag, an dem ihr Leben schrecklicher und das Leiden unerträglicher geworden war, hasste sie ihre Peiniger mehr. Hass war das einzige Gefühl, das sie in ihrem Innersten zuließ.
Die Kinder bedeuteten ihr jedoch nichts. Allesamt waren sie das Ergebnis von Vergewaltigungen. Fürst Chromlion hatte ihr insbesondere in den ersten Sonnenwenden ihres Aufenthalts immer wieder Gewalt angetan. Nacht für Nacht war er – meist betrunken – in ihre Kammer gestiegen und hatte sie dafür benutzt, seine Lust zu befriedigen und ihr seine Macht über ihren Körper zu demonstrieren. Er demütigte sie, wann immer er dazu Gelegenheit fand. Hatte sie sich aufsässig gezeigt oder ihm seinen Willen verweigert, hatte er sie öffentlich im Burghof auspeitschen lassen. In einem Anfall besonderer Grausamkeit hatte er sie vor den Augen der gesamten Dienerschaft in der Küche wie ein Stück Vieh bestiegen. Die Köchin Acerba hatte währenddessen schallend gelacht und sich vor Lachen mit ihren prankenartigen Händen kräftig auf die Oberschenkel geschlagen, bis sie blaue Flecken davon bekam. Ein Teil der Dienerschaft hatte den Fürsten bekräftigt, sein schändliches Treiben bis zum Schluss mit lauten Rufen angefeuert. Nichts als Hohn und Spott hatte sie von den Bediensteten geerntet, als Chromlion endlich mit ihr fertig war. Wenige, Elischa konnte sie an den Fingern einer Hand abzählen, hatten beschämt weggesehen und Mitleid mit ihrem Schicksal gezeigt.
Bald darauf trug Elischa das erste Kind unter ihrem Herzen. Von Anfang an hatte sie die in ihrem Leib heranwachsende Brut des Fürsten gehasst und sich geschworen, diese niemals auszutragen und nach Kryson zu bringen. Eher wollte sie sterben und zu den Schatten gehen. In ihrer Verzweiflung hatte sie sich eine Treppe hinuntergestürzt. Die Verletzungen waren schwer und sie hatte das Kind unter Schmerzen und mit schweren Blutungen verloren. Die Strafe folgte auf dem Fuße. Kaum war der Blutstrom versiegt, hatte Chromlion sie in einer dunklen Zelle im Burgverlies bei Wasser und Brot für die Dauer eines Mondes einsperren lassen. Ihre Einstellung hatte sich dadurch nicht geändert. Wenige Monde später hatte sie ihr zweites Kind verloren, indem sie in einem unbeobachteten Moment von einem Balkon zehn Fuß in die Tiefe des Burghofes sprang und sich dabei nicht nur beide Beine gebrochen hatte. Elischa wäre beinahe verblutet und die Schatten hatten zu jener Zeit nach ihrem Leben gegriffen. Doch ein Heiler hatte sie vor dem Tod bewahrt, nachdem Chromlion diesem selbst mit dem Gang zu den Schatten gedroht hatte, wenn Elischa die schweren Verletzungen nicht überstünde. Über den Lauf einer Sonnenwende hatte die Orna gebraucht, sich von dem Sprung und dem Verlust des ungeborenen Kindes zu erholen. In jenen Tagen war sie nur zu leichten Arbeiten herangezogen worden und Chromlion hatte sie meist in Ruhe gelassen. Die Zeit der Genesung musste zu Ende gehen, früher, als Elischa lieb sein konnte. Kurz darauf begann das Leiden erneut. Sowohl Elischa als auch das Fürstenhaus hatten aus den Erfahrungen gelernt. Die Orna wurde unter engere Beobachtung gestellt und einmal in jedem Mond von einem Heiler eingehend untersucht. Sobald dieser
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