Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
Bewachung auf ein Mindestmaß reduziert worden. So durfte sie sogar auf den Türmen der Burg spazieren gehen und den Blick ungestört und voller Wehmut über Meer und Land schweifen lassen. Auf ihre eigene Weise hatte sie sich mit ihrem Schicksal als Magd des Hauses Fallwas abgefunden, obwohl sie die Sehnsucht nach Madhrab und ihrem gemeinsamen Sohn an vielen Tagen plagte.
Die Kinder waren inzwischen erwachsen geworden. Die Söhne zu kräftigen Männern herangereift, die Chromlion persönlich im Schwertkampf und in der Jagd ausgebildet hatte. Die Tochter hatte sich zu einer schönen und liebreizenden jungen Frau entwickelt, die so manch begehrlichen Blick der Männer auf sich zog. Wenn Elischa die Tochter aus der Entfernung beobachtete, fühlte sie sich an sich selbst erinnert. Nihara war ihr in vielerlei Hinsicht ähnlich, nicht nur dass sie ihrer Mutter sehr ähnlich sah und ihre unterschiedlich gefärbten Augen geerbt hatte, sondern auch in dem, wie sie sich bewegte, sprach und verhielt. Die Orna fand diese Ähnlichkeit erstaunlich, da sie seit der Geburt kaum einen Kontakt mit Nihara pflegen konnte. Der Fürst hatte Elischa niemals nahe genug an die Kinder herangelassen und sie hatte in dieser Hinsicht keinerlei Interesse gezeigt. Dennoch, je älter und selbstständiger die Kinder wurden, desto öfter hatte sie mit dem Gedanken gespielt, das Wagnis einzugehen und sie anzusprechen. Zu lange schon hatte sie ein Leben bar jeder Hoffnung im Schatten verbracht und war darüber einsam geworden. Alleingelassen, ihres Lebens und der Liebe beraubt, würde ihr eine Beziehung zu ihrer Tochter vielleicht helfen, die Kälte und das Nichts aus ihrem Herzen zu vertreiben. Elischa brauchte endlich wieder jemandem, mit dem sie reden konnte und der ihre Nöte und Ängste hoffentlich verstand.
Die Sonnenreiter stießen die aus dem Verlies ins Haus des hohen Vaters führenden Flügeltüren auf. Das grelle Tageslicht der Sonnen Krysons blendete und schmerzte den Lordmaster, als er hinaustrat. Madhrab kniff die Augen zusammen. Das Licht war wie ein Schock für den Bewahrer. Damit hatte er nicht gerechnet, nachdem er davon ausgegangen war, in die Zeit der Dämmerung zurückzukehren, und offensichtlich eine längere Zeit im einheitlichen Grau der Grube verbracht hatte. Wie lange sein Aufenthalt in der Grube tatsächlich gedauert hatte, wollte und konnte er sich nicht vorstellen. Sein Erscheinen erregte die Aufmerksamkeit einiger Sonnenreiter und Bewahrer, denen sie auf dem Weg in Yilassas Kammer begegneten. Die Ordensbrüder tuschelten zwar aufgeregt untereinander, hielten sich aber respektvoll zurück.
Yilassas Kammer war zweckmäßig und dem Rang eines Lordmasters entsprechend angemessen eingerichtet. Madhrab war nicht entgangen, dass Yilassa unter den Bewahrern zwischenzeitlich ein hohes Ansehen genoss und den Rang eines Lordmasters gleich unter dem Overlord bekleidete.
»Nehmt bitte Platz«, bot Yilassa dem Bewahrer einen mit weichen Fellen ausgekleideten Sessel an.
Während sich Madhrab setzte, wurden Speisen und Getränke aufgetragen. Yilassa zog ihren eigenen Sessel heran und setzte sich Madhrab gegenüber.
»Der hohe Vater liegt im Sterben«, begann sie das Gespräch, »Ihr müsst wissen, er ist sehr alt und schwach geworden. Seit ungefähr einer Sonnenwende hat er sein Lager nicht mehr verlassen. Nur dank der fürsorglichen Pflege und der außergewöhnlichen Fähigkeiten der Orna lebt er noch. Wenn Ihr mich fragt, grenzt es an ein Wunder, dass ihn die Schatten nicht schon früher geholt haben. Oder es ist Magie im Spiel.«
»Boijakmar!«, Madhrab brachte den Namen des hohen Vaters nur mit Verachtung über die Lippen.
»Ihr solltet ihn nicht für das verurteilen, was er Euch angetan hat, Madhrab«, riet Yilassa. »Er wollte den Orden und das Erbe Ulljans schützen. Das war seine Bestimmung.«
»Er hat mich verraten«, fuhr Madhrab verbittert auf, »mich, Elischa, meine Familie und Freunde. Hast du dich etwa von seinen Worten blenden lassen, während ich in der Grube nach Brairac Ausschau hielt?«
»Nein, gewiss nicht«, antwortete Yilassa, »es war falsch und schändlich und der Overlord weiß das. Ich habe mit ihm geredet. Er dachte, Ihr wärt eine große Gefahr für den Orden und Ell. Eure Macht fürchtete er wie nichts anderes auf Kryson. Ihr habt ihn mit jeder Eurer Taten und dem Eindruck der Unbesiegbarkeit in seinen Ängsten bestätigt. Die Krieger folgten und vertrauten Euch blind, so wie ich es tat und noch
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