Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
stand Madhrab wie ein gnadenloser Vollstrecker über ihm, das Schwert mit beiden Händen weit über den Kopf erhoben, mit der Spitze nach unten zeigend.
»Du hast das Leben nicht verdient«, sagte Madhrab teilnahmslos.
Vor Entsetzen weit aufgerissene Augen starrten dem rachehungrigen Krieger aus einem allzu jungen Gesicht entgegen. Der zweite Sohn war starr vor Furcht angesichts seines übermächtigen Gegners. Madhrab zögerte keinen Augenblick, kannte kein Erbarmen. Das Blutschwert senkte sich mit Wucht durch die Panzerung, Kettenhemd, Wams, Haut, Fleisch und Knochen mitten in das heftig schlagende Herz des Gegners. Kalt und heiß zugleich fühlte sich die Klinge an, die dem sterbenden Sohn des Chromlion mit einem metallischen Schrei des Triumphes die Seele entriss.
Elischa verbarg ihr Gesicht hinter den Händen. Sie konnte und mochte nicht mit ansehen, wie Madhrab ihre Söhne richtete. Etwas fühlte sich vollkommen falsch daran an. Sie konnten nichts dafür, trugen keine Schuld an dem, was oder wer sie waren und wie sie letztendlich nach Kryson gekommen waren. Doch sie mussten durch Madhrabs Hand sterben, weil Chromlion es so vorgesehen hatte.
Chromlion drehte sich auf dem Sattel seines Pferdes zu Nihara um und sah seiner Tochter in die Augen.
»Hast du gesehen, was der Mörder mit deinen Brüdern angestellt hat?«, hörte Elischa den Fürsten die gemeinsame Tochter fragen.
»Ja, Vater«, antwortete Nihara.
»Dann bist du dran«, sagte Chromlion, »denke daran, was ich dich gelehrt habe, und räche deine Brüder. Bring mir den Kopf des elenden Verräters.«
»Ja, Vater«, nickte Nihara.
Nihara stieg vom Rücken ihres Pferdes, nahm einen Bogen von ihrer Schulter und legte einen Pfeil auf. Ihre Bewegungen waren geschmeidig und so schnell, dass Elischa mit ihren Blicken kaum zu folgen vermochte. Schon war der Pfeil losgelassen und befand sich laut sirrend in der Luft. Die Überraschung war gelungen, der Pfeil schlug ungehindert in der Brust knapp oberhalb des Herzens des Bewahrers ein. Nihara hatte den Bogen mit einer solchen Wucht gespannt, dass sich das Eindringen wie ein aus nächster Nähe abgeschossener Pfeil anfühlte und die an sich stabile Rüstung mühelos durchschlug. Die Pfeilspitze trat am Rücken wieder hervor. Madhrab wurde nach hinten von den Beinen gerissen, schlug hart auf dem Boden auf und schob durch den Sturz unfreiwillig die Pfeilspitze wieder in seinen Körper zurück. Madhrab stieß den Atem keuchend hervor und spuckte Blut. Die Zwillinge Foljatin und Hardrab eilten in großer Sorge an seine Seite und versuchten ihn aufzurichten. Aber Madhrab wehrte sie vehement mit den Armen ab, als er die Tochter des Fürsten mit großen Schritten auf sich zurennen sah.
»Fort!«, schrie er die Zwillinge an, stieß die beiden zur Seite und sprang auf die Beine.
Fast zu spät brachte er das Blutschwert nach oben, um den tödlich gedachten Schwerthieb seiner Gegnerin abzufangen. Nihara schwang ein leichtes Schwert mit einer dünnen Klinge, mit dem sie eine ungeheure Geschicklichkeit und hohe Geschwindigkeit entwickelt hatte. Madhrab musste rasch feststellen, dass sie wesentlich besser und weit ehrgeiziger als ihre Brüder war. Angeschlagen und beeinträchtigt durch den in seiner Brust steckenden Pfeil war sie eine gefährliche Gegnerin. Mit einem Schrei brach er den Schaft des Pfeiles ab und schleuderte ihr diesen entgegen. Geschickt schlug sie den Pfeilschaft beiseite und platzierte ihren nächsten Angriff. Madhrab konzentrierte sich zunächst nur auf seine Verteidigung, beobachtete, Hiebe und Stiche abwehrend, ihre Schritte und Bewegungen. Es dauerte nicht lange, bis er alles gesehen hatte, was er wissen musste. Chromlion hatte sie vieles gelehrt, und für einen gewöhnlichen, durchaus auch meisterlichen Gegner hätte ihr Können ausgereicht, um diesen zu den Schatten zu schicken. Doch für Madhrab reichte ihre Erfahrung nicht aus.
»Hört auf!«, rief Elischa in ihrer Verzweiflung vom Turm herab. »Bei allen Kojos … sie ist meine Tochter, Madhrab.«
»Schweig, Weib«, rief Chromlion lautstark, »sonst lasse ich dich binden und knebeln! Hast du noch nicht genug Prügel eingesteckt?«
Madhrab begann sich gegen die Vorstöße Niharas zu wehren. Dabei wagte er nicht, ihr ins Gesicht zu sehen. Zu sehr erinnerte sie ihn an Elischa. Und gegen seine Liebe zu kämpfen und diese am Ende nach so langer Zeit zu töten, wäre zu viel gewesen. Elischas warnende Zwischenrufe indessen nahm er nur am Rande
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