Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
zu ihrer reinen Unterhaltung. Seit Monden waren die Eisbergener in jeglicher Hinsicht vom restlichen Kontinent abgeschnitten. Auch sie hatten das Phänomen der sich langsam verdunkelnden Sonne mit Bangen beobachtet. Die Auswirkungen auf die Stadt im hohen Norden waren allerdings nicht so gravierend wie in den vor dem Riesengebirge liegenden Klanlanden, sodass sich die meisten Einwohner der Stadt nur schwer vorstellen konnten, wie die schwarze Sonne das Licht verschluckte. Im Norden waren die beiden rotierenden Sonnen stets gut sichtbar und bewahrten das Licht meist auch über die Nacht. Der Wandel zwischen Tag und Nacht war zu den restlichen und vor allem zu den mittleren Gebieten nicht vergleichbar. Hier im Norden gab es keine andauernde Dämmerung, obwohl das Tageslicht durch die schwarze Sonne insgesamt dunkler geworden war.
Die Händler berichteten gerne und in allen Einzelheiten von ihren Erfahrungen und Erlebnissen, die sie auf der Reise nach Eisbergen gemacht hatten. Ihre jüngst gemachten Beobachtungen in Kalayan sparten sie vorerst aus. Dafür war die Zeit noch nicht reif. Erst gegen Abend in einem der zahlreichen Wirtshäuser unter dem starken Einfluss eines warmen Weines, der in Eisbergen mit einem gebrannten Korngeist versetzt war, würden sich ihre Zungen lockern und über das gesehene Grauen berichten. Sie sprachen aber auch über große Ereignisse, Politik, Fürstenhäuser, die allgemeine Entwicklung und Lage und ließen dabei weder die Seuche noch die Auswirkungen des Krieges oder das Ableben des Regenten Haluk Sei Tan aus. Überraschend traf sie allerdings die Nachricht über den Tod des Fürsten Fallwas. Diese Neuigkeit verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der Stadt und entging selbst Lordmaster Chromlion nicht, der sich ansonsten nicht für die Erzählungen der Händler interessiert hatte. Der Bericht über den Gang seines Vaters zu den Schatten traf ihn unvorbereitet. Er war erschüttert, zumal der Tod bereits einige Monde zurücklag und er während der Zeit des Wartens in Kalayan nichts davon vernommen hatte. Schlimmer noch als die Nachricht selbst war der Bericht eines Händlers über die Bestattungszeremonie, in welcher der oberste Praister und ständige Begleiter seines Vaters, Thezael, die Schatten angerufen hatte. Die Zeremonie war nach den Worten des Händlers in einem Chaos untergegangen und hatte die Hauptstadt Tut-El-Baya in Verzweiflung und Barbarei gestürzt. Die Schatten schritten durch die einst vor Leben blühenden Straßen der Stadt und forderten ihren Tribut. Die Rede war von einer entvölkerten Geisterstadt, in der die Kranken und Verseuchten aus Neid und Hunger Jagd auf die Gesunden machten, während sich die Toten in den Gassen und auf den öffentlichen Plätzen stapelten und die Luft mit ihrem Gestank verpesteten. Die Geißel der Schatten zeigte ihr fürchterlichstes Gesicht in der Stadt des Regenten. Es war, als würden die Einwohner Tut-El-Bayas für die Zeit der Freudenfeste und des Überflusses bestraft. Erst wenn sich die Schatten des letzten mit der Seuche Infizierten bemächtigt hatten, würde wieder Ruhe und Ordnung einkehren.
Wütend und traurig über die Nachricht loste sich Chromlion mit dem Trupp der Verfolger von der Karawane. Sie hatten ein anderes Ziel. Während die Händler der Karawane von den sie unter frenetischem Beifall begrüßenden Klan singend und tanzend durch die Straßen in Richtung Marktplatz von Eisbergen gedrängt wurden, bogen die Sonnenreiter unter der Führung des Lordmasters zum Eispalast ab. Chromlion vermutete, dass Fürst Alchovi dem Verurteilten und der ihm versprochenen Orna Schutz und Unterkunft gewährte. Darauf gefasst, die Gäste des Fürstenhauses nicht aus freien Stücken überlassen zu bekommen, stellte er sich auf einen Kampf ein. Gleichgültig ob sie diesen Kampf gewinnen konnten oder nicht, war er fest entschlossen, jeden Preis zur Erreichung seiner Ziele zu bezahlen und wenn diese das Leben der ihn begleitenden Gefährten kosten sollte. Er befand sich in der richtigen Stimmung für eine gewaltsame Auseinandersetzung. Mit geballten Fäusten marschierte er dem Trupp voraus. Die nicht verarbeitete Trauer um seinen Vater, der ihm Vorbild und Freund zugleich gewesen war, nagte an ihm wie eine Krankheit, die sein Herz zerfraß und sein Gemüt verdunkelte.
*
»Es geht mir viel besser«, sagte Elischa zu Madhrab, dessen Gesicht voller Sorge um die Gesundheit der jungen Mutter war, »wirklich. Mach dir keine Sorgen. Ist er nicht
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