Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
Euer Aussehen ist um viele Sonnenwenden jünger geworden. Freut Euch, der Gesang hat gewirkt.«
Langsam gewann die Saijkalsanhexe ihre Beherrschung zurück. Ihr Blick streifte den immer noch bewusstlosen Grimmgour. Sobald er aus seinem unfreiwilligen Schlaf erwachen sollte, würde er wenigstens eine Lektion gelernt haben. Kraft und Wut allein reichten nicht aus, um gegen einen erfahrenen Krieger zu bestehen. Die Ernüchterung über den missglückten Auftritt ihres Sohnes traf Rajuru nicht minder hart. Sie hatte sich in der Annahme getäuscht, sie habe einen unbesiegbaren Krieger geschaffen, den sie beliebig und gefahrlos lenken könnte. In dieser Hinsicht musste sie ihre Pläne neu überdenken. Wenn es ihr nicht gelang, die Zügellosigkeit und den Hass ihres Sohnes abzumildern, geriete sie während einer Eroberung selbst in Gefahr. Grimmgour musste lernen, mit seinen ungehemmten Trieben und Gefühlen umzugehen und sich zu beherrschen. Er war weder unverwundbar noch unbesiegbar, was Dardhrab überdeutlich demonstriert hatte. Bei einem Aufeinandertreffen mit einem Bewahrer wie Madhrab wäre der Rachure in seinem derzeitigen Zustand mit hoher Wahrscheinlichkeit sicher unterlegen. Rajuru konnte sich eine weitere Niederlage nicht leisten. Alleine die Schmach, die sie erwartete, wenn sie dem dunklen Hirten gegenübertrat und ihm von einem Versagen berichten musste, erschien ihr unerträglich. Sie musste ihrem Sohn im eigenen Interesse zur Seite stehen. Es würde ein harter und langwieriger Weg werden, den sie gemeinsam gehen mussten, wenn sie am Ende siegen wollte. Aber sie wäre nicht die Herrscherin der Rachuren, wenn sie vorschnell aufgeben würde und Rückschläge nicht überwinden könnte. Sie wies ihre Leibwächter an, Grimmgour in seine Zelle im Palast zurückzubringen. Sie wollte sich später um ihn kümmern.
»Schneide die Herzen der Sklaven heraus und bereite ein Bad mit ihrem Blut vor«, befahl Rajuru dem Todsänger. »Ich will die Zeit nutzen, um den Zauber der Verjüngung zu erneuern.«
»Sehr wohl, Herrin«, willigte Nalkaar in die ihm zugedachte schmutzige Arbeit ein, »wenn Ihr erlaubt, werde ich Dardhrab nicht den Schatten übergeben. Das wäre Verschwendung. Ich möchte ihn zu den Meinen rufen und ihn als Todsänger ausbilden.«
»Wenn Ihr meint. Ich habe keinen Einwand gegen Euer Vorhaben. Aber bildet ihn gut aus, damit er für mich singen kann, und vergesst nicht die Aufgabe, die ich Euch zugedacht habe. Sie ist von höchster Wichtigkeit.«
»Selbstverständlich, meine Gebieterin«, lächelte Nalkaar, »wie könnte ich dies vergessen. Ihr werdet gewiss zufrieden sein.«
Nalkaar hatte vieles gesehen und begriffen an jenem denkwürdigen Tag. Einiges davon rückte das Bild, das er bislang von Rajuru und Grimmgour hatte, in ein gänzlich anderes Licht. Sie war und blieb eine äußerst fähige Hexe, die er niemals unterschätzen durfte und die ihm in seinem Dasein zwischen Leben und Tod empfindlich schaden konnte. Aber sie machte Fehler und dadurch wurde sie für ihn plötzlich angreifbar. Hatte er sie bislang als unantastbar gesehen, so nahm er sie nun als eine zwar mächtige, aber auch verletzliche Frau wahr, deren Schwäche nicht nur ihre neuerdings enge innere Verbindung mit ihrem Sohn war, sondern auch ihre Machtbesessenheit und die Eifersucht, die sie dem dunklen Hirten in mehrerlei Hinsicht entgegenbrachte. Vielleicht würde sich eines Tages die Möglichkeit bieten, Rajuru die Qualen und Zumutungen mit gleicher Münze heimzuzahlen, die sie ihm über all die Sonnenwenden seiner Dienste an ihrem Hofe bereitet hatte. Nie war ein Wort der Anerkennung über ihre Lippen gekommen. Sie hatte ihn und seine Todsänger stets zu ihrem eigenen Vorteil ausgenutzt. Der Dank für die Treue waren Verrat und Bestrafung. Ähnliches galt für den Rachurengeneral Grimmgour, für den er weder vor dessen Begegnung mit Madhrab noch danach Sympathien empfunden hatte. Nur auf Rajurus Befehl hin hatte er ihm geholfen. Außerdem hatte er sich einen persönlichen Vorteil erhofft, wenn er ihn zwar verletzt, aber immerhin lebend nach Krawahta zurückbrachte. Allerdings wäre es ein mindestens genauso schwerer Fehler, die Gefährlichkeit eines Schänders zu missachten. Nur weil dieser sich in der Arena – geblendet durch seine eigene Stärke – von überschäumenden Gefühlen hatte leiten lassen, konnte er einem Riesen im Kampf unterliegen. Ihn deshalb aus den Augen zu lassen, konnte ein fatales Ende nach sich ziehen.
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