Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
einen Platz an. Chromlion musterte die Anwesenden aufmerksam. Er fragte sich, in welcher Beziehung der Praister zu dem Fürsten stand. Sie waren sich schon einmal begegnet. Er kannte den Mann und erinnerte sich daran, dass er ein enger Vertrauter des obersten Praisters Thezael sein musste, der sich wiederum im Schatten des Regenten Haluk Sei Tan insgeheim mit Fürst Fallwas die Macht in Tut-El-Baya geteilt hatte. Die Verbindung zwischen Thezael und seinem Vater hatte ihm nie gefallen. Chromlion respektierte die Praister zwar in ihrer Funktion als Vertreter der Kojos, aber er hatte nie viel von ihnen gehalten. Sie waren in seinen Augen hinterhältig und gefährlich, scheuten aber die offene Auseinandersetzung. Und doch konnte sich niemand sicher sein, ob er nicht schon bald vergiftet oder mit einem Dolch im Rücken bei den Schatten endete, wenn er den Zielen der Praister im Weg stand oder einfach nur lästig geworden war. Einmal hatte der Lordmaster sie in der Gegenwart des Vaters als ungesund bezeichnet und dadurch den Zorn des Fürsten erregt. Aber der Fürst hatte ohnehin nie auf seinen Sohn gehört, schon gar nicht in staatspolitischen oder diplomatischen Angelegenheit.
»Ihr wisst, warum ich mit Euch sprechen möchte?«, fragte Corusal den Gefangenen in einem freundlichen Tonfall.
Chromlion spuckte dem Fürsten zur Antwort auf die Pantoffeln und fing sich für die Geste der Verachtung von dem unmittelbar hinter ihm stehenden Eiskrieger einen kräftigen Schlag auf den Hinterkopf ein.
»Wie ich sehe, seid Ihr nicht in bester Laune«, fuhr Corusal unbeirrt fort, »nun … das macht nichts. In Ketten fällt es schwer, frei zu sprechen. Das verstehe ich. Wir werden trotzdem ein klein wenig plaudern, und Ihr werdet Euch Mühe geben, Antworten auf meine Fragen zu finden. In Eisbergen müssen wir meist lange auf Nachrichten aus den übrigen Klanlanden warten und uns in Geduld üben. Jedenfalls habt Ihr Euch für ein Schicksal in der Eiswüste entschieden, weil Ihr vermutlich leben wollt. Das zeigt mir, dass Ihr Euch noch nicht aufgegeben habt und wir zumindest einen gemeinsamen Ansatz haben, der Eure Bereitwilligkeit für ein Gespräch wecken sollte. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob Eure Entscheidung tatsächlich klug war und Ihr nicht doch eher das erste Angebot Hassards hättet annehmen sollen.«
»Was soll das?«, regte sich Chromlion plötzlich, »Ihr nehmt einen Bewahrer gefangen und behandelt ihn, als wäre er ein Stück Vieh, das zur Schlachtbank geführt wird.«
»Verzeiht, Lordmaster. Aber Ihr seid gefährlich. Ihr habt Euch nicht zurückgehalten, als Ihr ohne Einladung oder meine ausdrückliche Erlaubnis in den Eispalast eindringen wolltet. Ihr habt meine Wachen getötet und wolltet mich angreifen. Was hättet Ihr an meiner Stelle getan?«
»Das will ich Euch sagen. Ich hätte das Urteil der Bewahrer akzeptiert, das selbst die Klanfürsten bindet. So lautet das Gesetz. Es steht Euch nicht zu, Euch darüber hinwegzusetzen.«
»Daran scheiden sich die Geister. Ihr nanntet mich einen Lügner und hattet doch keinen Beweis für Euren Verdacht.«
»Meine Augen sehen gut, Fürst. Und ich sah, was ich sehen musste.«
»Was glaubt Ihr gesehen zu haben, was Euch das Recht gab, mich anzugreifen?« fragte der Fürst.
»Ich sah eine Orna. Ihr Name ist Elischa, und sie floh mit Madhrab aus dem Haus des hohen Vaters und der heiligen Mutter. Sie legten eine blutige Spur, als sie die Häuser verließen. Die Ermordung der heiligen Mutter wurde bislang nicht aufgeklärt, aber wir sind uns heute sicher, dass Madhrab hinter dem feigen, frevlerischen Mord stecken muss und Elischa ihm dabei half.«
»Die heilige Mutter? Ermordet? Das ist entsetzlich. Aber das eigentlich Verheerende daran ist, dass Ihr den Mord Eurem eigenen Ordensbruder und einer Orna anhängen wollt«, entrüstete sich Fürst Alchovi.
»Verschließt nur Eure Augen vor der Wahrheit, die Ihr nicht wahrhaben wollt. Es kommt nur ein Mörder aus den eigenen Reihen infrage. Der Held vergangener Tage stürzte tief und zeigte sein wahres Gesicht. Ich habe ihn entlarvt. Madhrab ist nicht mehr mein Ordensbruder. Lest das Urteil aufmerksam. Auch Elischa hat ihre Rechte als Orna vertan, indem sie ihre Pflichten vernachlässigte und ihrer wahren Bestimmung entgehen wollte. Deshalb bin ich hier, um beide auf den rechten Pfad zurückzuführen. Madhrab wird der Bestrafung auf Dauer nicht entgehen, es sei denn, er wird für den Rest seines Lebens auf der Flucht
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