Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
verfangen hätte.
Sapius ließ sich vom Rücken des Drachen gleiten. Seine Beine fühlten sich wacklig an, er hatte weiche Knie und ihm war elend zumute.
»Wenn du dich übergeben musst, dann achte darauf, dass unter dir niemand steht«, stichelte der Drache, »und wage es nicht, dich auf den Landeplatz zu entleeren.«
»Danke, ich werde mir deine guten Ratschläge merken«, antwortete Sapius säuerlich.
»Klettere die Felsen hinab und suche die Hütte des Einsiedlers. Ich werde hier oben auf dich warten«, schlug Haffak Gas Vadar vor.
»Bist du verrückt?«, entsetzte sich Sapius, als er über die Felskante nach unten blickte, während ihm der Wind eisig ins Gesicht blies und ihm schwindelig wurde, »das ist eine mindestens dreitausend Fuß senkrecht abfallende Felswand, die zu allem Überfluss auch noch vereist ist. Der Wind wird mich wegreißen. Ich werde mir den Hals brechen!«
»Bist du eine Maus oder ein Magier?«, fragte der Drache in aller Gelassenheit und blickte Sapius aus einem großen Auge verschmitzt an. »Warum zweifelst du an dir? Nutze deine Möglichkeiten. Niemand verlangt von dir, dass du dich als Bergsteiger betätigst oder auf den Einsatz von Magie verzichtest.«
Der Drache holte tief Luft, blies seine enormen Lungen auf und pustete den angesammelten Atem in Richtung des Magiers. Abwehrend hielt Sapius die Hände vor sich, seine Augen weiteten sich vor Schreck und er versuchte verzweifelt, den Drachen mit einem Ruf aufzuhalten.
»Nein … nicht!«
Doch es war bereits zu spät, der von dem Drachen ausgestoßene Atem war zu stark. Sapius wurde sofort von der Strömung erfasst, die wie eine warme, nach Schwefel und Eisen riechende Wand auf ihn prallte, ihn von den Beinen riss und über die Kante stieß. Ein lang gezogener Schrei voller Entsetzen entwich der Kehle des Magiers, als er fiel. Im Fallen hörte er die Stimme des Drachen in seinem Kopf.
»Manchmal bedarf es eines kleinen Anstoßes zum Glück. Guten Flug, Drachenreiter!«
Der Wind riss an Sapius’ Kleidern und warf ihn hin und her, als wäre er eine Feder, die den Naturgewalten nach Belieben ausgeliefert wäre. Er hörte nur seinen eigenen nicht enden wollenden Schrei, doch als ihn der Wind gefährlich nahe an die Felswand drückte, besann er sich darauf, wer und was er war.
Verdammt, ich bin Sapius, ein Magier und Drachenreiter!
»Ich will fliegen!«, rief er mit aller Kraft.
Er erinnerte sich daran, wie er diese Übung zum ersten Mal erlernt hatte. Auf seinem Weg nach Tartyk war er von der Klippe gestürzt und hatte sich in seiner Not nichts sehnlicher gewünscht, als fliegen zu können. Und siehe da, es hatte geklappt. Auch dieses Mal wurde der freie Fall aufgehalten. Sapius schwebte vor der Felswand und blickte nach unten. Die Hälfte des Weges nach unten hatte er mit sich gekämpft, bis ihm eingefallen war, wie er den Sturz abfangen konnte. Er ärgerte sich über seine Unfähigkeit, schließlich hatte er das Fliegen geübt.
Warum bedarf es erst einer Not, bevor ich mich auf die Magie besinne? Es wäre so einfach, wenn ich meine Begabung wie von selbst einsetzte.
Bedächtig schwebte Sapius an der Felswand entlang nach unten. Der Wind konnte ihm nichts anhaben. Solange er den Flugzauber einsetzte, war er vor äußeren Einflüssen wie durch einen Schild geschützt und konnte sich in einer stabilen Lage halten. Als er sein Ziel, ein auf mittlerer Höhe gelegenes Felsplateau, erreicht hatte, sah er sich in aller Ruhe um. Von der schmalen Hochebene hatte er einen guten Überblick. Links und rechts des Plateaus führten enge, natürlich gewachsene Bergpfade ins Tal. Bis zur Tiefebene und den ersten schroffen Ausläufern des Landes der Bluttrinker waren es gut und gerne weitere fünftausend Fuß Höhenunterschied. Sapius hatte gehört, dass die Hütte des Saijkalsan mitten in den Bergen lag. Er würde nicht bis ins Tal absteigen müssen, um sie zu erreichen. Dennoch stand ihm ein längerer Abstieg über unwegsame Pfade bevor, der ihm nicht leichtfallen würde. Das steife Bein und der Buckel kamen ihm dabei nicht entgegen. Sicher, er konnte den Schwebezauber einsetzen, sobald ihm der Weg zu anstrengend und gefährlich wurde. Doch er wollte seine magischen Kräfte nicht verschwenden, solange dies nicht zwingend notwendig war. Zu seinem Bedauern hatte er festgestellt, dass die Magie bei übermäßigem oder zu langem Gebrauch nachließ und damit auch die Wirkung der eingesetzten Zauber. Und darüber hinaus bestand immerhin die
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