Kryson 04 - Das verlorene Volk
ist des Herrschens müde. Das habe ich seiner Haltung angesehen. Die Fürsten stehen nicht geschlossen hinter ihm, und seine Gemahlin würde ihn am liebsten vergiften«, erklärte Foljatin seine Wahrnehmung. »Seine Regentschaft ist nicht mehr sicher, obwohl er ohne jeden Zweifel die Mittel und Fähigkeiten hätte, der Gefahr durch die Rachuren erfolgreich zu begegnen. Aber was nutzt ihm sein Vermögen im Reich der Schatten? Jafdabh fürchtet um sein Leben. Es wird Zeit für ihn, abzutreten. Seine Entscheidung kann ich verstehen. Allerdings war es mehr als wagemutig von Jafdabh, ausgerechnet Euch für die Nachfolge vorzuschlagen. Er muss gewusst haben, dass er sich damit nicht nur Freunde schaffen würde.«
»Das sehe ich ebenso«, warf Hardrab ein, »hast du die Augen von Tomal gesehen?«
»Natürlich«, nickte Madhrab, »ich kenne das Gefühl, das einen bei seinen Blicken voller Eis und Dunkelheit beschleicht.«
»Aber nicht nur das … etwas anderes erschien mir noch rätselhafter und hat mich zutiefst erschreckte. Es waren nicht die unterschiedlichen Farben seiner Augen, die mich irritierten. Auch nicht der kalte, dunkle Blick eines Kindes der Nacht«, grübelte Foljatin laut. »Sein Blick war unstet und gebrochen. Ich denke, er ist dem Wahnsinn nahe und kämpft einen einsamen Kampf gegen sich selbst. Was auch immer er in seinem Inneren ausficht und gleichgültig wie das Ergebnis aussehen wird, Tomal ist und bleibt gefährlich. Ihn als Regenteneinzusetzen, käme in meinen Augen einem Todesurteil für die Klanlande gleich.«
»Aber er ist ein Lesvaraq. Er muss mächtig und gefährlich sein. Ihr solltet ihm und seiner Aufgabe Vertrauen schenken«, gab Madhrab zu bedenken.
»Du willst uns nicht verstehen«, sagte Hardrab verärgert, »es geht uns nicht um die Bestimmung des Lesvaraq. Natürlich dreht sich Kryson um die Macht und die immer wieder aufs Neue ausgefochtene Frage, wer beherrscht am Ende wen. Tomal jedoch trägt zwei Machtinsignien offen zur Schau. Ich war überrascht, als ich die Zeichen an ihm gesehen habe. Was bedeutet das? Bündelt sich die Macht in ihm? Steht er gar einem Kojos gleich?«
»Nein, das glaube ich nicht«, verwarf Madhrab den verwegenen Gedanken, »ich behaupte, er ist in der Lage, beide Seiten des Gleichgewichts auszufüllen und einen gerechten Ausgleich zu schaffen. Er ist weder Licht noch Schatten, weder gut noch böse. Das macht ihn gewöhnlicher, als ihm lieb sein kann. Er wird es kaum ertragen, für normal gehalten zu werden. Der Lesvaraq ist eitel. Laut den Schriften waren sie das alle. Selbst Ulljan hat sich seine Eitelkeit eingestanden. Jedenfalls hatte ich diesen Eindruck. Vielleicht aber habt ihr beiden recht und er wäre nicht für eine Regentschaft geeignet. Seine höchst eigenen Interessen würden denen der Klan entgegenlaufen.«
»Stimmt! Bleibt also nur Madhrab«, sagte Foljatin, »was uns zurück zu unseren Bedenken bringt.«
»Du solltest dich in Acht nehmen«, warnte Hardrab, »genauso wie Jafdabh um sein eigenes Leben fürchtet, solltest du dich um deines sorgen. Der Hof am Kristallpalast ist voller Intrigen und dunkler Geheimnisse. Sicher, seit Thezael und seine doppelzüngigen Praister vertrieben wurden – meine Güte, ich wäre so gerne dabei gewesen und hätte die Flucht der Praister mit eigenen Augen gesehen –, hat sich der Ruf immerhingebessert. Dennoch solltest du nicht vergessen, was dir der Hof des Regenten einst angetan hat. Es war sicher nicht Thezael alleine, der diesen infamen Plan gegen dich ausheckte. Und Jafdabh ist ein sehr kluger und vor allen Dingen kühl berechnender Kopf. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er selbstlos handelt.«
Madhrab schüttelte energisch den Kopf. An dem Vortrag seiner Freunde störte ihn einiges, obwohl er sehr wohl wusste, dass sie es nur gut mit ihm meinten. Ihre Anteilnahme und die Ängste um sein Wohlergehen waren rührend und dennoch in seinen Augen überflüssig. Natürlich würde er niemals vergessen, was ihm die Intrigen eingebracht hatten. Seine Feinde hatten ihn leiden lassen, verraten, verfolgt und bis in die Grube gehetzt. Er hatte den Verlust seiner besten Freunde betrauern müssen. Nein, diese Erfahrung würde er mit zu den Schatten nehmen und selbst dort niemals vergessen.
»Wir möchten, dass du dich vorsiehst bei deinem gemeinsamen Mahl mit Jafdabh. Halte dich bei den Speisen und Getränken zurück. Unseretwegen schlag dir den Bauch vorher voll. Zwei Nasen riechen mehr als eine. Und wir
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