Kryson 04 - Das verlorene Volk
stärken und auf ein Gelingen zu hoffen. Lasst das bloß nicht meine Leute hören, sonst springen sie von Bord.«
»Das tut mir leid«, entschuldigte sich Drolatol, »so habe ich es nicht gemeint. Ich wollte nur andeuten, dass wir darüber nachdenken müssen, was wir anrichten könnten.«
»Natürlich«, brummte Murhab, »aber wenn ich Euch einen Rat geben dürfte, mein Fürst. Ihr solltet an das Hier und Jetzt denken. Wir haben einen gefährlichen und erbarmungslosen Feind, der uns – ohne über mögliche Konsequenzen seines Handelns nachzudenken – vernichten wird, sollten wir ihm nicht zuvorkommen. Haltet Eure Gedanken vor den Schützen und meiner Besatzung zurück. Sie könnten ins Grübeln kommen.«
»Ihr habt sicher recht, Murhab«, nickte Drolatol, »Jafdabhhätte sich keinen besseren Kapitän für seine Flotte suchen können.«
»Ihr schmeichelt mir, danke. Aber warten wir ab, bis wir auf den Feind treffen. Dann werden wir sehen, ob der Regent die richtige Wahl getroffen hat und was die Luftschiffe wert sind.«
Daraufhin brüllte Murhab einige Anweisungen. Die Besatzung der Aeras Tamar war den Klang seiner Stimme gewohnt und sprang sofort, seine Befehle zu befolgen. Jeder wusste genau, wo sein Platz war und was er zu tun hatte. Die Aeras Tamar neigte sich, flog einen leichten Bogen, und die Segel blähten sich im Wind. Das Luftschiff nahm deutlich an Fahrt auf und setzte sich vor die anderen Schiffe.
Sapius hatte sein Bündel gepackt. Er und Tomal wollten es der Flotte gleichtun und noch heute aufbrechen. Aber ihre Wege würden sich vorübergehend trennen. Das hatte ihm Tomal in ihrem letzten Gespräch eröffnet. Eine schwierige Unterredung, die ihn an den Rand seiner Loyalität gegenüber dem Lesvaraq gebracht hatte. Während Sapius den flüsternden Steinen folgen sollte, wollte sich Tomal alleine auf den Weg machen, das verlorene Volk zu suchen. Das sei Teil seiner Bestimmung, hatte er Sapius erklärt. Ein entscheidender Anfang auf der Suche nach dem Buch der Macht. Aber das war es nicht, was den Magier gegen Tomal aufgebracht hatte.
»Tomal muss verrückt geworden sein, wenn er glaubt, ich würde ihm bedingungslos gehorchen und einen Mord begehen«, dachte Sapius.
Der Magier war empört. Wie konnte der Lesvaraq von ihm verlangen, Tallia zu töten! Sie war ein wesentlicher Teil des Gleichgewichts. Die helle Seite des steten Ausgleichs, die nicht nur wichtig für den Zyklus des Lesvaraq war, sondern seine Persönlichkeit bestimmte. Würde es ihm gelingen – waser ernsthaft anzweifelte –, sie ins Land der Tränen zu schicken, würde der Zyklus unterbrochen. Welche Auswirkungen dies auf Tomal und das Gleichgewicht selbst hätte, wollte sich Sapius in seinen kühnsten Träumen nicht ausmalen. Die Dunkelheit würde von ihm Besitz ergreifen, was immer das auch bedeuten mochte.
»Wie soll ich sein Verlangen bewerten?«, fragte sich Sapius. »Wie kann ich sicher sein, ob er Tallia nicht umgekehrt auch gefragt hat, mich zu töten?«
Natürlich hatte Sapius zuweilen beobachtet, wie sich der Lesvaraq mit den beiden Seiten seines Wesens quälte und die Nacht stets bevorzugte. Tomal war ein Widerspruch in sich selbst und der innere Kampf brachte ihn an den Rand des Wahnsinns. Verlor er tatsächlich den Verstand, wäre er am Ende hin- und hergerissen zwischen Tag und Nacht. Womöglich konnte er sich nicht entscheiden, wenn es darauf ankam. Aber das war noch lange kein Grund, sich auf diese Weise einer lästigen Seite zu entledigen.
»Er macht es sich zu einfach. Wie in so vielen Dingen verlässt er sich darauf, dass er stark und mächtig ist. Ein Lesvaraq, gefangen in seiner Überheblichkeit«, ging es Sapius verbittert durch den Kopf. »Er muss lernen damit umzugehen. Das ist seine wahre Herausforderung .«
Der Ärger war bis zum Tag des Aufbruchs nicht mehr verflogen. Vielleicht war es gut, wenn sie erst einmal für eine Weile Abstand voneinander bekämen und Zeit hatten, über die Angelegenheit nachzudenken. Sapius hoffte, der Lesvaraq würde es sich anders überlegen und von seinem Vorhaben ablassen. Aber wie er ihn kannte, würde er stur daran festhalten. Für die Zeit, in der sie getrennte Wege gingen, würde er versuchen nicht daran zu denken. Er brauchte seine ganze Kraft, um sich auf seine eigene Aufgabe zu konzentrieren. Wenn Sapius Glück hatte, gelänge es ihm vielleicht, einige Mitstreiter fürseinen gewagten Vorstoß zu gewinnen. Er war für jede Unterstützung froh und dankbar.
Vor
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