Kryson 04 - Das verlorene Volk
nebeneinander im Gras und betrachteten gemeinsam das Farbenspiel der Tsairu, das immer wieder faszinierend und wunderschön anzuschauen war. Nihara hatte ihren Kopf auf Renlasols Arm gebettet und sich eng an ihn geschmiegt. Renlasol drehte den Kopf, damit er ihr Gesicht betrachten konnte. Ihr standen Tränen in den Augen.
»Ich verstehe«, versuchte Renlasol sie zu trösten, während er zärtlich ihr Gesicht streichelte, »das wird vergehen.«
»Das wird es nicht und Ihr wisst das«, erwiderte Nihara. »Ich hatte Angst davor, dass Ihr mir zu nahe kommen könntet, und hätte das nicht zulassen sollen. Aber ich dachte, ich wäre stark genug, meine Gefühle zurückzuhalten. Das habe ich nun davon.«
»Sie ist nicht so spröde und kalt, wie sie zuweilen vorgibt zu sein «, dachte Renlasol.
»Die Kojos werden wissen, wozu das gut sein mag«, sagte Renlasol schließlich. »Ich begleite Euch zur Trutzburg Fallwas und reise dann von dort gleich weiter gen Südwesten. Gleichgültig wo wir sind und was mit uns geschehen wird, diese Erinnerung wird uns niemand nehmen.«
»Ihr habt recht. Wahrscheinlich bin ich zu weich geworden«, meinte Nihara und wischte sich mit der Hand die Tränen aus dem Gesicht, »nur weil wir uns einmal geliebt haben, geht Kryson noch lange nicht unter und wir auch nicht. Aber es ist schön zu wissen, dass es fortan jemanden gibt, der dieselbe Erinnerung und womöglich dieselben Gedanken hegen wird, auch wenn er noch so weit entfernt sein sollte.«
»Aye, eine wundervolle Vorstellung«, sagte Renlasol.
Renlasol und Nihara zogen sich an und stiegen auf ihre Pferde. Sie ritten für eine Weile schweigend nebeneinander her und jeder hing seinen Gedanken nach. Bald kamen die Mauern der Trutzburg in Sicht. Nihara entdeckte die verschwommenen Umrisse zuerst.
»Seht doch. Da vorne ist Burg Fallwas. In einer Hora sind wir da!«
Renlasol nickte. Er war froh, dass sie den verrotteten und von Blutkrähen zerhackten Leichnam ihres Vaters vom Burgtor entfernt und neben dessen Söhnen, Niharas Brüdern, bestattet hatten. Das ersparte Nihara wenigstens den grauenhaften Anblick, wenn es auch die Erinnerungen an Madhrabs Bluttat nicht auslöschen würde.
Die Zusammenkunft
D ie Bestie beizeiten im Zweiten erwacht, er ist der Jäger und Wandler der Nacht. «
Hungrig streifte der Baumwolf durch den Wald. Sein Magen knurrte lautstark, rebellierte gegen die schmerzende Leere, die mit jeder weiteren Sardas seine Gier auf einen Happen Fleisch steigerte. Er hatte seit Tagen keine Beute mehr geschlagen und nichts gefressen. Eine innere Unruhe hatte ihn über die Baumwipfel stetig in Richtung Süden getrieben, zum Waldrand. Er kannte sich aus. Faraghad war sein Gebiet und das seines Rudels. In der Nähe, am südlichsten Rand des Faraghad, befand sich der größte Vulkan auf Ell. Tartatuk.
Er hatte großen Respekt vor dem Feuerberg und fürchtete sich vor dem Zorn des Vulkans, der jederzeit überraschend ausbrechen konnte und die Landschaft um ihn herum in ein Meer des Feuers verwandelte. Trotz seiner Angst hatte er das Rudel auf seiner Reise zurückgelassen. Soweit er sich an frühere Zeiten erinnerte, war es das größte Rudel, das er je angeführt hatte. Es wies inzwischen mehr als dreihundert Tiere auf. Sie vertrauten ihm und folgten seinem Ruf. Sie würden ungeduldig auf seine Rückkehr warten. Allerdings war es nicht leicht, das Rudel zu versorgen und zu den besten Jagdgründen im Herzen des Waldes zu führen.
Die Baumwölfe waren gefräßig und nicht leicht zufriedenzustellen. Darunter befanden sich einige sehr kräftige Tiere, die ihn hin und wieder herausforderten und ihm seinen Platz streitig machten. Es waren stets erbitterte Kämpfe auf Leben und Tod, die ihn Kraft kosteten und ihm trotz der Überlegenheit des Krolak, Wunden einbrachten. Schwer heilende Wunden. Doch er hatte bislang Glück und keine der meist tödlichen Auseinandersetzungen verloren. Aber er wussteauch, eines Tages würde er gewiss zu alt für einen Kampf gegen einen der zahlreichen Rivalen sein und seine Kräfte mussten nachlassen. Vor diesem Tag, der mit Sicherheit sein Ende bedeutete, fürchtete er sich mindestens genauso, wie erneut die Sicherheit der Naiki-Siedlung zu suchen und sich dort vor dem Unvermeidlichen zu verstecken.
Baijosto Kemyon hatte in den vergangenen fünfundzwanzig Sonnenwenden mehrmals versucht, unter seinem Volk zu leben. Er hatte sich sogar auf Anraten der weisen Solras – entgegen aller Einwände seines Bruders
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