Kryson 04 - Das verlorene Volk
Beschützer bereit. Baijosto drehte sich, einem furiosen Tänzer gleich, blitzschnell um seine eigene Körpermitte. Seine Augen weiteten sich vor Schreck, als er seinen mächtigen Gegner erblickte. Ein Hüne mit Armen und Beinen wie Baumstämmen hatte sich schützend zwischen ihn und den Jungen gestellt, unverrückbar wie ein Fels in der Brandung. Wollte sich Baijosto den Jungen holen, müsste er zuerst diesen Riesen aus dem Weg räumen. Aber dieser machte auf Baijosto nicht den Eindruck, aus freien Stücken zu weichen. Der Riese strotzte vor Kraft und war ein ernst zu nehmender Gegner. Baijostos Wut und Angst wichen der Vorsicht und Besinnung. Er musste sich vorsehen und sich besser kontrollieren. Plötzlich traf ihn die Erinnerung wie ein Schlag. Der Krolak kannte den Beschützer dieser Kinder.
»Belrod?«, knurrte Baijosto verdutzt.
»Bascho böse«, bekam der Krolak zur Antwort.
»Was – bei den Kojos – machst du hier?«, wollte Baijosto wissen.
»Solras«, sagte Belrod.
»Solras schickt dich?«
»Solras sagt, ich soll auf Bascho aufpassen!«
Belrods Wortschatz war in den vergangenenSonnenwenden deutlich gewachsen und seine Aussprache war klarer geworden. Offensichtlich hatte sich Solras große Mühe mit dem Maiko-Naiki gegeben und jeden Tag hart mit ihm gearbeitet.
»Lass mir den Jungen, Belrod«, verlangte der Krolak, »ich bin am Verhungern.«
»Nein«, zeigte sich Belrod stur, »Bascho Bruder. Bascho Freund. Will nicht, dass Bascho böse.«
»Belrod!« Baijosto klang verzweifelt und zwischen seine Worte schlichen sich zunehmend knurrende Laute. »Mach den Weg frei. Ich will dich nicht verletzen.«
»Nein! Belrod schützt Kinder. Bascho muss töten Belrod, oder Belrod tötet Bascho.«
»Aber du bist mein Bruder.«
»Bascho böse. Kinder sicher.«
»Verdammt, Belrod! Warum bist du mir nur gefolgt?«
»Solras.«
»Ich weiß, das hattest du erwähnt.«
Baijosto kämpfte und weigerte sich, den Maiko-Naiki anzugreifen. Es bereitete ihm größte Mühe, sich zurückzuhalten. Aber es musste ihm rasch gelingen, den Krolak zu unterdrücken und sein Gemüt wieder zu besänftigen. Er war bereits zu weit gegangen. Die Beute so kurz vor dem Ziel aufzugeben, erwies sich als ein beinahe unmögliches Unterfangen und es schmerzte. Gelang ihm das nicht, lief er Gefahr, die Kontrolle zu verlieren und den Riesen schwer zu verletzen. Das durfte niemals geschehen. Er liebte Belrod wie einen eigenen Sohn. Nach all der Zeit in der selbst auferlegten Verbannung hatte sich der Maiko-Naiki als der treueste Freund erwiesen, der ihm niemals vorgeworfen hatte, was aus ihm geworden war.
»Bitte!«, flehte Belrod.
Der Maiko-Naiki drehte seinen Kopf leicht und deutete mit der Hand auf einen prall gefüllten Sack, den er auf seinemRücken trug. Es war ein riesiger Rucksack aus festem, grünem Stoff, wie ihn die Naiki oft auf längeren Ausflügen durch die Wälder benutzten. Nur dieser war deutlich größer und voller gepackt als üblich.
»Belrod hat Kleidung, Essen und Trinken«, bot der Riese an, »genug für Bascho, Belrod und Kinder.«
Belrod öffnete die über der Brust gekreuzten Lederriemen und ließ den Sack zu Boden gleiten. Baijosto konnte erkennen, dass der Sack enorme Ausmaße besaß und bis zum Rand gefüllt sein musste. Er fragte sich, wie Belrod es wohl geschafft hatte, dieses Gewicht von der Siedlung bis zum Waldrand zu schleppen. Natürlich wusste Baijosto, dass der Maiko-Naiki stark war – das hatte er soeben selbst schmerzhaft zu spüren bekommen –, aber er nahm an, dass seine Kräfte noch deutlich zugenommen haben mussten. Jeder andere wäre keine zwei Schritte weit gekommen und unter der Last zusammengebrochen.
Die Gedanken lenkten ihn von seiner Gier ab. Baijosto beruhigte seinen Atem, nahm sich zurück und setzte sich schließlich hin. Er konzentrierte sich, leerte seine Gedanken, drängte die Bestie in ihm zurück und verwandelte sich. Als er in der Gestalt des Naiki-Jägers nackt auf dem Waldboden hockte und zu seinem Freund aufblickte, sah er, wie sich Belrods Gesichtszüge erhellten. Der Maiko-Naiki gab die drohende Haltung auf, riss die Arme auseinander und rannte freudestrahlend auf Baijosto zu. Er hob den Naiki vom Boden auf, als wöge dieser nichts, warf ihn hoch in die Luft und fing ihn mit den Armen wieder auf. Als Belrod ihn anschließend zu fest an sich drückte, begann Baijosto vor Schmerzen zu stöhnen.
»Du erdrückst mich, Belrod!«, jammerte der Naiki-Jäger. »Und außerdem
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