Kryson 04 - Das verlorene Volk
Zorn hatte ihn möglicherweise daran gehindert. Dunkle Gedanken, die seinen Geist in Bösartigkeit vernebelt hielten. Doch was wäre, wenn er zu sich käme, aus seinem Albtraum erwachte? Fünfundzwanzig Sonnenwenden waren für einen Drachen nichts im Angesicht der Ewigkeit.
So empfand Nalkaar die schmeichelnden Worte als Ehre, die ihm ohnehin allzu oft verweigert wurden. Aus dem Rachen eines mächtigen Feindes wie Haffak Gas Vadar erwiesen sie sich als noch viel wertvoller, als wären sie bloß über Rajurus Lippen gekommen – was ohnehin nie der Fall war und auchin Zukunft nicht geschehen würde. Nalkaar machte sich keine Illusionen darüber. Für die Rachurenhexe war er nichts weiter als ein Diener, ein Sklave.
Sollte der Drache allerdings recht behalten, bestand Hoffnung. Die Vorstellung, Kryson mit seinen Todsängern zu beherrschen, gefiel Nalkaar. Er bedankte sich abermals bei Haffak Gas Vadar, verabschiedete sich und schritt erhaben den langen Weg zu seiner Kammer zurück. Zwischendurch erteilte er den Aufsehern, die ihm auf seinem Weg begegneten, Anweisungen, wie sie mit den Drachenchimären zu verfahren hatten. Er würde nicht umhinkommen, Rajuru Bericht zu erstatten. Wenigstens würde sie keinen Anlass finden, ihn zu bestrafen. Dennoch rechnete er fest mit einer Demütigung durch die Herrscherin. Sie würde gewiss keine Gelegenheit auslassen, ihn zu erniedrigen und ihm zu zeigen, was sie von ihm hielt.
»Soll sie nur«, dachte Nalkaar, » es läuft alles nach Plan.«
Nalkaar war mit sich und den Fortschritten zufrieden. Bald würde die Zeit des großen Angriffs kommen. Der Tag, an dem sie Rache an den Klan nehmen würden und die schmachvolle Niederlage aus der Schlacht am Rayhin für immer vergessen könnten. Er würde diesen Angriff führen. Natürlich würde der Ruhm Grimmgour gelten, der offiziell an der Spitze der Eroberer stand. Aber jeder wusste, dass dies Nalkaars Sieg sein würde. Die Drachenbrut war einzig sein Erfolg. Schließlich würden die Nachkommen des Haffak Gas Vadar über Sieg und Niederlage entscheiden.
Grenzlande
D rei Männer schleppten sich durch die vom Nebel durchzogenen Sümpfe in den Grenzlanden. Ihre Kleidung starrte vor Dreck und sie waren bis unter den Haaransatz mit Schlamm bespritzt. Mit einer Hand hielten sie – zum Schutz vor den teils giftigen und grünlich schillernden Dämpfen – nicht minder verunreinigte Leinentücher vor Mund und Nase. Ihren Gesichtern war die Anstrengung mit jedem Schritt anzusehen. Des Öfteren blieben sie mit ihren Stiefeln im Morast hängen und taten sich folglich schwer, sich daraus wieder zu befreien.
Sie kamen nur mühsam voran. Einer der Gefährten war zu geschwächt, um auf eigenen Beinen stehen, geschweige denn gehen zu können. Seine Beine und Füße wurden hinterhergeschleift, als wäre er vom Unterleib abwärts gelähmt.
Er schien schwer erkrankt, und die Männer mussten von Zeit zu Zeit stehen bleiben, wenn der Gefährte von Fieberkrämpfen geschüttelt wurde. Die beiden anderen Männer hatten ihren verletzten Kameraden in die Mitte genommen und stützten ihn, während sie sich durch die unwirtliche, gespenstisch wirkende Gegend kämpften. Der Nebel behinderte ihre Sicht, die kaum mehr als zehn Fuß weit reichte. Umgeben von spärlich gedeihendem Buschwerk, langsam vermodernden Baumstümpfen und mit Haarmoosen bewachsenen Bäumen, deren mächtige Wurzeln bis ins trübe Wasser reichten, musste jeder Schritt auf dem weichen Morastboden mit Bedacht gewählt werden. Neben dem kaum sichtbaren Pfad lauerten Untiefen und auf den ersten Blick harmlos wirkende Sumpflöcher, die jeden Unvorsichtigen unweigerlich in die Tiefe zogen und im Sumpf unter Massen an blubberndem Morast begruben. Mancherorts stiegen mächtige Gasblasen an die Oberfläche und zerplatzten, einen übel stinkenden Geruch verbreitend.
Eine Reise durch die Grenzlande war voller Gefahren. Für jeden Sterblichen galt es als großes Wagnis mit ungewissem Ausgang, sich der lebensfeindlichen Umgebung auszusetzen. Wer keinen halbwegs sicheren Pfad erkundet und den Rückweg vorsorglich markiert hatte, konnte sich in den schier endlos scheinenden Sümpfen rettungslos verlieren, wenn er nicht zuvor bereits durch einen unbedachten Fehltritt versunken und erstickt oder von einem hinter jedem abgestorbenen Baum lauernden hungrigen Jäger verschlungen worden war.
Handtellergroße, schmutzig braun gefärbte Stechmücken mit durchsichtig schimmerndem Hinterleib machten in den
Weitere Kostenlose Bücher