Kryson 04 - Das verlorene Volk
Blick zu. Renlasol hatte es gewagt, an den Worten des Anführers der Eiskrieger zu zweifeln und ihn damit in seiner Ehre zu verletzen.
»Ihr solltet nicht abschätzig über das Geschenk des Fürsten Alchovi reden«, erhob Sapius plötzlich zornig die Stimme für seinen Begleiter, der den Eiskrieger und dessen Reaktionen beobachtet hatte, »es hat eine Weile gedauert, aber ich habe Euch doch wiedererkannt. Ihr seid der mutige, vom Glück gesegnete Knappe, der sich einst auf den Weg machte, Quadalkar zu suchen und ihm eine Botschaft von mir zu überbringen. Ihr habt Euch seitdem sehr verändert. Und nicht zu Eurem Vorteil.«
»Ich lebe noch, wie Ihr sehen könnt«, sagte Renlasol. »Euren Auftrag habe ich gegen alle Widerstände erfüllt. Eine unmögliche Aufgabe, für deren Ausgang Ihr hättet hängen sollen. Ihr hingegen seht immer noch so aus wie damals. Aber die Zeiten meines Daseins als Knappe sind längst vergangen, Sapius. Ich habe viel gesehen und stieg mittlerweile zum Fürsten auf.«
»Ein Wunder, oder ist Euch das Glück nach wie vor hold?«, bemerkte Sapius schnippisch.
»Weder – noch«, war Renlasol nicht um eine Antwort verlegen, »die Zeiten haben sich geändert. Tüchtigkeit zahlt sich aus.«
»Oder die Beziehungen zu einem schwerreichen Todeshändler«, erwiderte Sapius, der damit einigen der im Saal Anwesenden aus der Seele sprach.
»Genug jetzt«, mischte sich Jafdabh beschwichtigend ein, »wir sind nicht hier, um miteinander zu streiten. Tja ... die Unterstützung des Fürsten Alchovi ist von unschätzbarem Wert für uns alle, und ich bedanke mich bei ihm dafür. Das ist mehr, als wir erwarten durften.«
Obwohl er mit seinen Worten recht hatte, war Jafdabh nicht weniger enttäuscht als die anderen Anwesenden derFürstenhäuser. Nachdem sie mit seinem Erscheinen zuerst überhaupt nicht gerechnet hatten, waren sie nun doch von seinem plötzlichen Auftreten überrascht gewesen und hatten in einem Moment aufkeimender Hoffnung tatsächlich angenommen, er löse all ihre Probleme, indem er sich bereit erkläre, persönlich gegen die Rachuren anzutreten und seine Kräfte als Lesvaraq im Kampf einzusetzen. Aber Tomal war weder bereit, sich ihrer Sache anzunehmen, noch machte er seinen Anspruch auf den Sitz des Regenten geltend. Seine Hilfe erschöpfte sich jedoch darin, den Klan einen Teil seiner Leibgarde an die Seite zu stellen. Die Eiskrieger waren für den Lesvaraq entbehrlich.
Die Wachposten auf den Stadtmauern und Schutztürmen rund um Tut-El-Baya waren angesichts der jüngsten Ereignisse verdoppelt worden. Für die Wachen fühlte sich der Alarmzustand ungewohnt an, waren sie doch in den vergangenen Sonnenwenden selten gefordert worden. Der Krieg war noch lange nicht bis nach Tut-El-Baya vorgedrungen und die Bedrohung durch die Rachuren in der Hauptstadt nicht sichtbar. Die Wachen empfanden keine Gefahr. Was sie nicht sehen oder spüren konnten, war nicht existent. Es fiel ihnen daher schwer, sich auf die neue Situation einzustellen und ihre volle Aufmerksamkeit der originären Aufgabe einer erhöhten Bewachungsdichte zu widmen.
Den meisten Einwohnern der Hauptstadt erging es nicht anders. Natürlich existierten Gerüchte. Aber wer wollte sich schon ernsthaft mit dem Gerede auseinandersetzen. Wer wusste schon, ob die Fürsten nicht bewusst Ängste unter das Volk streuten, um das Volk gefügig zu halten und insgeheim die Steuersätze hochzutreiben. Verlangten die Steuereintreiber höhere Abgaben, konnten sie die leeren Kassen der Fürsten füllen und deren ausschweifenden Lebensstil bezahlen.
Über Jafdabh dachten die Klan anders. Er war unermesslichreich. Das wusste jeder. Und er hatte die Klanlande gegen alle Widerstände, zu denen die Fürstenhäuser am stärksten beigetragen hatten, gerettet und Stadt wie Land mit seinem eigenen Vermögen zu einer neuen Blüte geführt. Niemand fragte, womit er sich dieses Vermögen verdient hatte. An ihn zahlten sie ihre Abgaben gerne. Er hätte jederzeit mehr verlangen können, und seine Anhänger, deren Zahl stetig gewachsen war, wären nach wie vor zufrieden gewesen. Aber Jafdabh war – was allgemein bekannt war – nicht beliebt unter den Fürsten und vielleicht dachten sie sogar daran, den Regenten zu stürzen und, gegen den Willen des Volkes, gegen einen Nachfolger aus ihren Reihen zu ersetzen.
Die Gerüchte hatten Unruhe in die Straßen und Gassen der Stadt gebracht. Auf den Marktplätzen wurde heftig diskutiert. Ihre Wachsamkeit war geweckt,
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