Kryson 04 - Das verlorene Volk
wissen, dann wird er es bestimmt fühlen. Er ist ein Lesvaraq. Es ist so lange her, seit ich ihn zuletzt gesehen habe.«
Darfas führte sie durch das Tor und von dort aus über einen Nebeneingang in den Palast. Die Kammern waren geräumig und doch gemütlich. Es dauerte nicht lange, bis Madhrab von einer Schar fleißiger Diener umgeben war, die ein Bad bereiteten und ihm anschließend beim Ablegen der Rüstung und Auskleiden halfen. Die Diener nahmen die Rüstung mit, um sie zu säubern. Das heiße Bad tat Muskeln und Knochen gut. Der Lordmaster konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann er sich diesen Luxus zuletzt geleistet hatte. Es musste seitdem eine halbe Ewigkeit vergangen sein. Nachdem er sich gewaschen hatte, streckte er sich aus und machte es sich in der hölzernen Wanne gemütlich. Die Wärme machte ihn schläfrig und schon bald döste er ein. Er träumte von Elischa.
»Werde ich dich je wiedersehen?«, begleitete ihn die Frage in den Schlaf, die ihm das Herz schwer machte.
Während Madhrab noch in der Wanne lag, wurden Speisen und Getränke aufgetragen und frische Kleidung bereitgelegt.Die Kunde vom Eintreffen des Lordmasters und seines Gefolges sprach sich im Palast schneller herum als die Ankunft des Fürsten Alchovi vor einigen Tagen. Etwas lag in der Luft, eine Spannung, die sich irgendwann entladen musste. Die Anwesenheit Madhrabs konnte nichts Gutes verheißen und weckte Erinnerungen an die dunkelsten Tage Ells.
Viele hatten den Bewahrer für tot gehalten. Ein böser Geist aus der Vergangenheit, der für Krieg und Verderben stand. Eine Legende, über die kaum jemand offen erzählen wollte und von der doch jeder schon einmal gehört hatte. Die Wahrheit kannten außer den Überlebenden der Schlacht am Rayhin nur die wenigsten unter den Klan. Für sie war Madhrab ein gefallener Held, der von der obersten Gerichtsbarkeit für seine Kriegsverbrechen angeklagt und verurteilt worden war. Kaum einer fragte danach, ob das Urteil damals gerecht gewesen war, und so wurde der Lordmaster zu Hofe und in Tut-El-Baya mehr gefürchtet als geliebt.
Renlasol beschlich ein mulmiges Gefühl, seinem einstigen Herrn entgegenzutreten, auch wenn es weit zurücklag und er den Schuhen des Knappen längst entwachsen war. Renlasol war schwach gewesen. Sicherlich hatte er in den Augen des Bewahrers versagt. Dabei hatte er ihm damals seinen Mut und die Tapferkeit beweisen wollen. Aber was bedeutete das heute schon. Das Schicksal hatte sich zum Guten gewendet. Quadalkar war tot. Der Fluch der Bluttrinker aufgehoben. Seit er mit seinen Gefährten in das Land der Bluttrinker aufgebrochen war, hatte er Madhrab nicht wiedergesehen. Vieles hatte sich seitdem geändert. Und Renlasol hatte mehr erreicht, als er jemals zu träumen wagen konnte. Er sah sich indessen auf einer Stufe mit Madhrab. Vielleicht stand er sogar mit seiner Ernennung zum Fürsten im Rang über ihm. Immerhin hatte sich Madhrab von den Bewahrern abgewandt und war seiner eigenen Wege gegangen. Und doch würde Renlasol immer zuihm aufsehen. Die Nachricht von Madhrabs Ankunft hatte ihn verunsichert und ihm ein Gefühl der Beklommenheit beschert, das er überspielen, aber mitnichten ablegen konnte.
In Gedanken versunken lief Renlasol ziellos durch die Palastflure. Dabei hatte er vergessen, dass er Drolatol in dessen Gemächern aufsuchen wollte, um mit ihm über die weiteren Beratungen im Kreis der Fürsten zu sprechen. Es war wichtig, dass sie sich miteinander abstimmten. Als Renlasol grübelnd um eine Ecke bog, wäre er um ein Haar mit einer steinernen Frauenstatue zusammengestoßen. Doch im letzten Moment schaffte er es, dem Hindernis auszuweichen und unbehelligt daran vorbeizulaufen.
Er wunderte sich, wer eine solche Figur mitten in den Fluren aufstellte. Sie provozierte einen Zusammenprall geradezu.
»Was soll das?« , ging es ihm durch den Kopf. »Sie ist an dieser Stelle deplatziert. Wen oder was soll sie darstellen?«
»Renlasol?«, hörte der Fürst die Stimme einer Frau in seiner Nähe.
Renlasol zuckte erschreckt zusammen. Er hatte nicht bemerkt, dass ihm jemand gefolgt war, und auch niemanden auf seinem Weg gesehen.
»Renlasol? Bist du das?«, fragte die Stimme der Frau abermals.
Renlasol drehte sich um. Hinter ihm stand die Statue, die sich ebenfalls gedreht hatte und ihm nun direkt in die Augen blickte. Ihre versteinerten Lippen deuteten ein Lächeln an. Der Fürst staunte, und ihm fiel ein, dass Tomal neben Sapius noch eine weitere Magierin
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