Kryson 05 - Das Buch der Macht
bevor sie von den Tönen gefangen genommen wurden. Sie ritten panisch davon, ohne sich noch einmal umzusehen. Doch für andere war es bereits zu spät. Fünf Männer waren bei Madhrab geblieben und lauschten andächtig der Musik.
Das Gefühl war unbeschreiblich. Es war anders, schmerzhafter, eindringlicher und wesentlich schöner, als Madhrab die Musik der Todsänger in Erinnerung hatte. Obwohl der Regent die tödliche Gefahr kannte und sie bereits einmal am eigenenLeib gespürt hatte, war er nicht in der Lage, sich gegen die zauberhaften Klänge zu wehren. Er wollte den Gesang hören, glaubte ihn zu brauchen wie ein Fisch das Wasser.
Die Männer um ihn herum sanken neben ihm auf die Knie. Sie streckten gemeinsam mit Madhrab ihre Arme gen Himmel, als wollten sie Erlösung erbitten. In ihren und Madhrabs Augen standen Tränen.
Der Schmerz wurde stärker, die Musik mit jeder weiteren Steigerung unerträglicher. Madhrab flehte, weinte und wollte nur, dass sie aufhörte und doch wieder nicht. Der Gesang durfte niemals enden. Er war sich sicher, er würde sterben, wenn sie aufhörten zu singen.
Der Regent fühlte sich plötzlich sehr leicht. Alle Sorgen und Nöte waren vergessen. Die Rachuren waren keine Feinde. Sie waren Freunde. Und die Todsänger? Wie hatte er ihre Magie jemals verdammen können? Sie und ihr Gesang waren das einzig Erstrebenswerte auf Kryson. Das Gleichgewicht, die Lesvaraq, die magischen Brüder. Sie alle waren nichts gegen den Meister der Musik, Nalkaar. Madhrabs Gedanken wurden ganz klar. Nalkaar war seine Rettung. Er würde ein völlig neues Leben beginnen können und war dem Todsänger zutiefst dankbar.
»Kommt zu mir, Meister «, sagte er in Gedanken, »nehmt meine Seele und verfügt über meinen Geist. Ich schenke sie Euch. Ich flehe Euch an, nehmt mir den Schmerz, aber hört niemals auf zu singen.«
Nebel kam auf Madhrab zu. Er wollte hineingreifen, aber der Nebel war nicht stofflich und entkam seinen zitternden Fingern, auf denen nur winzig kleine Tröpfchen zurückblieben.
Vor seinen Augen verschwamm Ell zu einem grauen Nichts. Wer war er?
War dies der Nebel des Vergessens aus dem Reich der Schatten, den die Toten fürchteten?
Der Regent hatte das Gefühl, als schwebe er erst über und dann neben seinem Körper. Die Seele wollte entweichen und sich verflüchtigen. Plötzlich wurde es still. Sehr still, wie in einem Grab.
Die Musik war beendet. Madhrab war verzweifelt. Warum spielten und sangen sie nicht weiter? Es wurde kalt und dunkel um ihn herum und er fror erbämlich.
Wo war er? Madhrab wusste es nicht. Dies war eine fremde Welt. Eine tote Welt, die nichts mit der Welt gemein hatte, die er einst gekannt hatte. Einzig die Musik lebte in ihr. Diese wunderschöne Musik! Jeder Ton war etwas Besonderes und wies eine eigene Farbe auf. Je besser die Töne zusammenpassten, desto schöner und beeindruckender wurde das Farbenspiel. Daran würde er sich immer erfreuen können. Die Musik wärmte und schützte ihn.
Madhrab hörte eine Stimme, die nach ihm rief:
»Kommt zu mir, Todsänger. Es ist Zeit.«
Madhrab wollte nicht gehen. Es war so ruhig hier. War die neue Welt nicht für ihn geschaffen? Musste er wirklich schon zurück?
Die Stimme war wie ein Befehl. Er musste gehorchen und schlug die Augen auf.
Nalkaar stand vor ihm und blickte lächelnd auf ihn herab.
»Madhrab«, sagte der Todsänger und reichte ihm einen schwarzen Kapuzenmantel, »es ist mir eine große Ehre, die Bekanntschaft mit Eurer Regentschaft persönlich zu machen! Der Bewahrer des Nordens, beschenkt mit der Gabe des Kriegers. Held und Verlierer in einem. Leider werdet Ihr Eure Gabe mit der Zeit verlieren und Euer Seelenschwert wird Euch nicht mehr lange dienen. Das ist der Preis, den Ihr bezahlen müsst, wenn Ihr ein Todsänger werdet. Dafür schenke ich Euch die Gabe des Gesangs und einen unsterblichen Geist. Eure Unsterblichkeit liegt in meinen Händen. Ich kannsie Euch wieder nehmen, solltet Ihr als Todsänger versagen. Aber ich glaube an Euch. Ihr seid mein Meisterstück, das mir in der Sammlung noch gefehlt hat. Erhebt Euch nun und legt den Mantel der Todsänger um. Er wird Euch warm halten, denn in unserer Welt ist es kalt.«
»Sehr wohl, mein Herr. Ich danke Euch für dieses Geschenk«, sagte Madhrab und legte sich den Mantel der Todsänger um.
»Seht in die Innentasche, Madhrab«, schlug Nalkaar vor, »Ihr findet dort eine Phiole mit einer öligen Essenz. Wir verwenden sie für unsere Stimmen. Ihr
Weitere Kostenlose Bücher