Kryson 05 - Das Buch der Macht
dass ich nach Tut-El-Baya als Sieger einziehen werde und über die Stadt herrschen werde, wenn die Eroberung zu Ende ist.«
»Ich erinnere mich an dieses Versprechen. Ich werde halten, was ich Euch zugesagt habe. Geht es Euch darum?«
»Nein, nein. Ich vertraue Euch, sonst wäre ich längst meiner eigenen Wege gegangen und hätte meine Praisterschar vergrößert, die zuletzt doch arg unter der Regentschaft und feindlichen Angriffen gelitten hat. Ich vermute, dass wir in Tut-El-Baya noch viele Anhänger und sogar ehemalige Praister haben, die ihre Roben nur aus Angst vor Verfolgung abgelegt haben, um sich vor dem Zugriff des Regenten zu verstecken.«
»Das wäre denkbar, aber was wollt Ihr mir damit sagen?«
»Könnt Ihr Euch das nicht denken?«
»Es wäre einfacher, Ihr sagt mir offen heraus, was Ihr wollt. Dann gibt es keine Missverständnisse«, schlug Nalkaar ungeduldig vor.
»Ich möchte, dass Ihr Tut-El-Baya verschont«, verlangte Thezael.
Nalkaar horchte auf und sah den obersten Praister aus dem Dunkel seiner Kapuze hindurch scharf an. Das war ein ungewöhnlicher Wunsch. Die Eroberung der Hauptstadt der Klan war das Kernstück ihres Vormarsches. Sie galt es, zu unterwerfen.
»Ihr verlangt viel«, meinte Nalkaar. »Wie stellt Ihr Euch das vor? Im Krieg gibt es Verluste. Ich kann Tut-El-Baya nicht verschonen. Fällt die Stadt, fallen die Klan und wir haben gesiegt.«
»Das ist mir bewusst«, erwiderte Thezael, »und ich verlange nicht, dass Ihr an der Stadt vorbeizieht. Einige Verluste nehme ich in Kauf. Aber ich war inzwischen bei einigen Eroberungen dabei und habe mit angesehen, wie Otevour und andere Städte fielen. Burgen wurden geschliffen. Dörfer verbrannt, Klan getötet oder in die Sklaverei verschleppt. Eine Statthalterschaft über eine zerstörte Geisterstadt, die nur aus Ruinen, Asche und Staub besteht, ist wertlos. Eine Herrschaft ohne Untertanen ist keine Herrschaft. Ich brauche Leben, beseeltes Leben. Ich will über die Klan bestimmen, nicht über Schatten.«
»Ihr wollt also, dass wir die Hauptstadt ohne Gesang und gewaltlos übernehmen? Das wird nicht einfach werden. Tut-El-Baya müsste sich aus freien Stücken ergeben. Eine bedingungslose Kapitulation. Wie sollen wir das anstellen?«
»Wir könnten sie aushungern.«
»Nein, das dauert Sonnenwenden. So viel Zeit haben wir nicht«, lehnte Nalkaar ab.
»Schlagt den Regenten. Bringt ihn auf eure Seite«, schlug Thezael vor, »fresst seine Seele und verwandelt ihn in einen Todsänger.«
»Ein verwegener Plan«, grübelte Nalkaar, »das habe ich schon einmal versucht. Damals bin ich kläglich gescheitert.«
»Bewundernswert, dass Ihr Euer Versagen so freimütig eingestehen könnt«, sagte Thezael.
»Ach«, seufzte Nalkaar, der sich nur ungern daran erinnerte, »das liegt lange zurück. Wer das nicht kann, verbaut sich die Möglichkeit, aus Fehlern zu lernen.«
»Sehr weise. Aber was haltet Ihr von meinem Vorschlag?«
»Eine verlockende Vorstellung, die mich von jeher gereizthat. Madhrabs Seele zu nehmen und den Bewahrer mit der Gabe des Kriegers zu kontrollieren, würde vieles verändern. Ob wir Tut-El-Baya dadurch kampflos einnehmen können, bezweifle ich allerdings. Madhrab führt seine Truppen anders als die Rachuren ihre Chimärenkrieger. Soweit ich weiß, versetzt Madhrab seine Anführer stets in die Lage, eigenständig handeln und entscheiden zu können. Bei ihm gibt es keinen unbedingten Gehorsam. Er gibt Ziele vor, deren Erfüllung er zwar erwartet, aber er lässt seinen Heerführern Freiraum. Das hat einen entscheidenden Vorteil. Fällt er, brechen weder die Verteidigung noch die Moral der Truppen zusammen. Der Kampf kann bis zum letzten Mann weitergeführt werden. Aber immerhin würden wir einen starken Verbündeten für unsere Sache gewinnen.«
»Genauso sehe ich das auch«, sagte Thezael, »Ihr solltet es in Erwägung ziehen.«
»Ich denke darüber nach«, antwortete Nalkaar, »und bis dahin werde ich mit Madsick an unserer Komposition üben und ihre Wirkung verfeinern.«
»Verzeiht, wenn ich mich von diesem Vorhaben entferne und Eurer wunderbaren Stimme nicht lausche«, entschuldigte sich Thezael.
»Keine Sorge«, lachte Nalkaar, »ich verstehe, dass Ihr um Eure Seele fürchtet.«
Thezael entfernte sich. Nalkaar sah dem Praister noch eine Weile grübelnd nach, bevor er sich vom Zustand der Krieger und des Behelfslagers vergewisserte und sich sogleich auf die Suche nach dem Flötenspieler Madsick machte. Übung war
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