Kryson 05 - Das Buch der Macht
durchbrochen. Der Weg zur Trutzburg zu Fallwas war frei.
*
Murhab und Drolatol hatten den Absturz des Begleitschiffes an Bord der Aeras Tamar mit Entsetzen verfolgt. Es war eine Katastrophe. Anscheinend mühelos hatten die Todsänger das Luftschiff vom Himmel geholt und die Verteidigungslinien überwunden. Hunderte von Schützen waren tot. Sie hatten nichts dagegen unternehmen können. Geistesgegenwärtig hatte Murhab die Aeras Tamar in letzter Sardas aus der Reichweite des Gesangs geflogen, als er die ersten Klänge und deren Auswirkung am eigenen Leib spürte. Panik war in ihm aufgestiegen, sie könnten sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen. Gegen die Macht der Todsänger gab es offenbar kein Mittel. So schön sich die Musik auch anhörte, sie war grauenhaft.
»Was sollen wir unternehmen?«, fragte Drolatol mit belegter Stimme, der seine Übelkeit vor Schreck vergessen hatte und immer noch blass wie ein Leichnam war.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Murhab, ratlos den Kopf schüttelnd.
»Wenn uns nichts einfällt, könnte dies unser aller Ende sein.«
»Ach ja, habt Ihr das auch schon bemerkt?« Murhab klang genervt, er war es nicht gewohnt, ohne Lösung für ein Problem zu bleiben.
Wenn es nach Murhab ging, gab es immer einen Ausweg.
»Wir könnten abdrehen und nach Tut-El-Baya zurückfliegen«, schlug Drolatol vor.
»Ausgezeichnete Idee«, antwortete Murhab mürrisch, »fliehenwir und lassen die Trutzburg im Stich. Die Rachuren können sie gerne übernehmen. Wir brauchen sie nicht. Hauptsache, wir kommen mit dem Leben davon und warnen unsere Hauptstreitmacht. Vielleicht fällt uns unterwegs eine Waffe gegen die Todsänger ein. Außerdem könnten wir unser Schiff im Dock umbauen. Alles wäre gut. Seid Ihr ein Feigling, mein Fürst? Fürchtet Ihr Euch vor den Schatten?«
Drolatol sah den Kapitän mit großen Augen an. In diesem Zustand hatte er Murhab nie zuvor gesehen. Er hatte die Grenzen des Respekts ihm gegenüber nie überschritten. Aber seine Fragen waren eine Herabsetzung.
»Weder das eine noch das andere, Kapitän«, antwortete Drolatol, »aber ich erkenne eine ausweglose Situation und ich weiß, wann es besser ist, den Rückzug anzutreten, statt bis zum Untergang zu kämpfen. Das hat nichts mit Feigheit zu tun. Wenn wir bleiben, ist niemandem geholfen. Wollt ihr Eure Seele an die Todsänger verlieren und Euren Leib unter den Chimären aufteilen lassen?«
»Tut mir leid, mein Fürst«, lenkte Murhab ein, »ich wollte Euch nicht beleidigen. Es fällt mir schwer, angesichts des Erlebten einen klaren Gedanken zu fassen. Ich fürchte mich vor einem solchen Ende. Aber wir dürfen die Burg nicht sich selbst überlassen. Sie ist zu wichtig für die Klan. Andererseits sind Eure Gründe nicht von der Hand zu weisen. Wir dürfen nicht blind in unser Verderben fliegen. Ich schlage vor, wir schicken das Begleitschiff nach Tut-El-Baya. Sie sollen Madhrab vor der drohenden Niederlage und den Todsängern warnen.«
»Wie immer eine weise Entscheidung, Kapitän«, schluckte Drolatol schwer, der eine andere Entscheidung erhofft hatte.
Drolatol und Murhab fürchteten beide, dass dies ihr letzter Kampf werden würde.
»Yorhab!«, rief Murhab den Flaggenmann zu sich.
»Aye, mein Kapitän«, kam der Gerufene angesprungen.
»Gib Signal an das Begleitschiff. Sie sollen abdrehen und sofort Kurs auf Tut-El-Baya nehmen. Eile ist vonnöten. Sie fliegen ohne Halt unter vollen Segeln. Kein Sturm darf sie aufhalten. Der Regent muss gewarnt werden. Die Verteidiger sollen sich auf den Ansturm und die Todsänger vorbereiten. Wir bleiben hier und halten die Stellung. Die Aeras Tamar wird kämpfen und tun, was immer ihr möglich ist, die Trutzburg zu Fallwas zu halten.«
»Aye, mein Kapitän.«
»Und, Yorhab …«, flüsterte Murhab.
»Ja?«
»Wenn du klug bist, gibst du dem Flaggenmann des Begleitschiffs für deine Mutter und deine Liebste einen letzten Gruß von dir mit. Sie sollen ihnen ausrichten, dass du bald nach Hause kommst.«
»Mein Kapitän?«
»Du hast mich schon verstanden. Wir werden noch einmal kurz landen, bevor der Ansturm losbricht. Ich möchte, dass du von Bord gehst und dich sofort nach Tut-El-Baya auf den Weg machst. Bring dich in Sicherheit, Junge.«
»Auf keinen Fall, mein Kapitän«, empörte sich Yorhab, »ich bleibe bei Euch und kämpfe an Eurer Seite bis zum bitteren Ende!«
»Sturer Junge«, brummte Murhab, »du bist verdammt noch mal zu jung für die Schatten. Wir brauchen gute
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