Kryson 06 - Tag und Nacht
und sie stieß ihm mit den Fäusten fest vor die Brust. Ihre Schläge schmerzten. Sapius sah die heilige Mutter entgeistert an. Was wollte sie von ihm?
Sie machte ein Zeichen, das unmissverständlich war. Elischa verlangte von ihm, dass er sie tötete, bevor er mit den Artefakten verschwand.
Sapius schüttelte energisch den Kopf und fuchtelte abwehrend mit den Händen. Sie musste doch verstehen, dass er sie nicht töten konnte.
Die heilige Mutter ließ nicht locker. Plötzlich zückte sie ein Messer, das sie unter ihrer Robe versteckt hatte und schnitt ihm in einer schnellen Bewegung den Beutel mit den Artefakten ab. Sie würde ihn nicht einfach gehen lassen, wenn er nicht tat, was sie von ihm verlangte. Nicht mit dem Herz und Gehirn des Kriegers. Der Magier hielt drohend den Stab des Farghlafat vor die Brust der heiligen Mutter. Elischa nickte und hielt den Beutel mit den Artefakten hoch. Er hätte danach greifen und sie ihr wieder entreißen können. Das war es, was sie von ihm erwartete. Sapius zögerte.
Er malte mit dem Finger ein Herz in die Luft, zeigte auf Elischa und dann auf das Herz, das heftig in seiner Brust schlug. Es schmerzte ihn so sehr und raubte ihm den Atem. Schweißtropfen traten auf seine Stirn. Er glaubte, das Herz zerspränge ihm in jedem Augenblick oder würde von der untragbaren Last zerdrückt.
Elischa legte den Beutel mit den Artefakten langsam und gut sichtbar zurück auf den Altar, nahm Sapius’ Arm mit der einen Hand und strich ihm mit der anderen zärtlich über die Wange. Sie näherte sich mit ihren Lippen seinem Gesicht und küsste ihn auf die Stirn, Nase, Wangen und Lippen. Danach wischte sie sich eine Träne aus den Augen. Sie löste sich von ihm, trat wieder einen Schritt zurück und machte erneut das Zeichen, das ihn beinahe um den Verstand brachte.
Sapius wollte schreien, doch kein Laut kam über seine Lippen. Die Stille wirkte auch in den Ebenen tief unter dem Haus der heiligen Mutter. Am liebsten hätte er sofort die Flucht ergriffen, hätte sich irgendwo in den Wäldern des Faraghad verkrochen und wäre nie wieder zurückgekehrt. Er wünschte, er wäre tot und fände seinen Frieden im Land der Tränen.
Elischas Blick durchbohrte ihn. Er konnte die heilige Mutter beinahe reden hören. Sie schrie, sie machte ihm Vorwürfe, nannte ihn einen Feigling und fragte ihn ständig, warum er sich nicht entscheiden konnte und das Ende hinauszog.
»Weshalb zögert Ihr?«
, sah sie Sapius fragend an. War das etwa ihre Stimme in seinem Kopf? Nein, das bildete er sich nur ein.
Sapius hob den Stab des Farghlafat hoch über seinen Kopf. Er wollte seinen Blick von ihr abwenden. Aber sie hielt ihn fest und schüttelte den Kopf. Elischa verlangte, dass er ihr dabei bis zum Schluss in die Augen sah. Das würde ihn sein Leben lang verfolgen, dessen war er sich sicher.
Sapius schlug zu, so fest er nur konnte. Einmal, zweimal und noch ein drittes Mal. Beim ersten Schlag traf er Elischa mit dem Stab mitten auf den Kopf. Die heilige Mutter sank auf die Knie. Ihre Haare verfärbten sich mit ihrem Blut und klebten an ihrer Kopfhaut. Das Blut rann ihr über die Stirn. Der zweite Schlag schlug ihr ein tiefes Loch in den Schädel. Sie fiel zu Boden, verlor die Kontrolle, leerte ihre Blase und den Darm und zuckte mit all ihren Gliedern.
Nach dem dritten Schlag, der ihren Schädel vollends zertrümmerte, wurde sie plötzlich ganz ruhig, tat ihren letzten Atemzug und starb. Als sie regungslos vor Sapius auf dem Boden lag, beugte sich der Magier über sie und drehte sie mit dem Gesicht nach oben. Ihre Augen waren weit aufgerissen und starrten ihn anklagend an. Aber es waren Augen, aus denen das Leben gewichen war. Er untersuchte ihren noch warmen Körper. Sie atmete nicht mehr. Ihr Herz stand still. Elischa war tot.
Sapius war von Kopf bis Fuß blutbespritzt, was ihm erst auffiel, als er seine Hände vors Gesicht nahm, auf die Knie fiel und bitterlich weinte. Er würde sich niemals verzeihen. Er hatte Elischa getötet. Die heilige Mutter der Orna.
Nachdem er sich wieder gefasst hatte und seine Glieder bewegen konnte, stand der Magier auf, nahm den Beutel mit den Artefakten vom Altar und verließ die geheime Kammer der heiligen Mutter. In seinem verzweifelten Zustand bewegte er sich mit traumwandlerischer Sicherheit und fand den Weg zu den äußeren Mauern, als hätte ihn Elischa selbst hinausgeführt.
Er stellte beiläufig fest, dass die Schlacht gegen die Rachuren zu Ende war und Nalkaar mitsamt
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