Kryson 06 - Tag und Nacht
Er musste Kallya gut behandeln und sie beschützen. Sie dankte es ihm meist mit einem wissenden Lächeln, auch wenn er sie in diesen Momenten am liebsten dafür umgebracht hätte. Tomal mochte es nicht, von jemandem abhängig zu sein.
Der Lesvaraq hatte die erste Wache übernommen und strich leise um das Lager herum. Kallya und Malidor hatten sich auf Fellen und in Wolldecken eingewickelt schlafen gelegt. Malidor war schnell eingeschlafen und schnarchte leise. Das war kein Wunder, hatten sie doch während des Tages einen langen und strammen Marsch hinter sich gebracht. Die ständigen Veränderungen hatten ihr Übriges dazu beigetragen, die Gefährten schnell zu ermüden. Sie waren zwar nicht unmittelbar davon betroffen gewesen und dank seiner Fähigkeiten hatte Tomal stets zwischen Wirklichkeit und Illusion unterscheiden können, aber lästig und irritierend waren sie dennoch. Zum Glück hatte es nun schon seit längerer Zeit keine Veränderung mehr gegeben. Die Lage schien endlich stabil zu sein. Tomal wusste wohl, woher die Veränderungen rührten. Irgendjemand hielt das Buch der Macht in den Händen und nutzte die ihm dadurch verliehenen Möglichkeiten.
Sie waren von Tarratar und Sapius getäuscht worden. Das war ihm schnell klar geworden, als die ersten Veränderungen aufgekommen waren. Das war mehr als nur ärgerlich. Ein zweites Mal würde sich der Lesvaraq nicht täuschen lassen. Aber die Veränderungen passten nicht zu Sapius. Ein anderer musste das Buch benutzt und diese kranken Ideen auf Ell losgelassen haben. Er konnte sich gut vorstellen, dass Jafdabh seine Finger dabei im Spiel hatte. Wer sonst hätte sich eine solche Welt ausgedacht?
Es war eine besonders dunkle Nacht. Das Licht des gigantischen, silbernen Mondes drang nicht durch die dichte Wolkendecke bis zu ihrem Lager. Die Luft roch nach einem schweren Gewitter und Regen
.
»Könnte ungemütlich werden«
, dachte Tomal bei sich,
»der Baum wird uns nur wenig Schutz geben, sollte das Unwetter losstürmen. Wir sollten schnell weiterziehen und uns einen Hof, Stall oder eine Höhle als Unterschlupf suchen.«
Trotz seiner Bedenken entschied sich Tomal gegen den Abbruch ihres Lagers und ließ die Gefährten ruhen.
»Blitze, Sturm und Wasser können uns nichts anhaben. Es gibt Schlimmeres, als nass zu werden«
, redete er sich zur Beruhigung ein.
In der Ferne konnte der Lesvaraq ein Wetterleuchten am Himmel sehen. Ein faszinierendes Schauspiel, das die Nacht ihm während seiner Wache bot. Das Wetterleuchten war noch weit genug entfernt. Das Donnergrollen des Gewitters drang nicht bis zu ihrem Lager vor.
Tomal setzte sich auf einen umgestürzten Baum in der Nähe der Schlafenden. Von hier aus konnte er das kleine Lagerfeuer sehen und den Fluss in der Nähe rauschen hören. Er hatte allerdings Mühe, die Umgebung im Auge zu behalten, weil sein Blick nicht weit genug durch die Dunkelheit drang und ein Licht wollte er nicht herbeirufen. Also beobachtete er weiter das Wetterleuchten, das sich langsam näherte. Nach einer Horas häuften sich die Blitze über dem Lesvaraq und nun war auch mit einiger Verzögerung Donner zu vernehmen.
»Nicht mehr lange und es geht los«
, dachte Tomal.
Plötzlich durchlief ein Prickeln seinen Körper, als hätte in der Nähe der Blitz eingeschlagen. Aber es war kein Blitz. Den hätte er gesehen und gehört. Tomal sprang auf und blickte sich um. Irgendetwas hatte sich verändert. Er spürte eine Gefahr. Etwas hatte sich in die Nähe des Lagers geschlichen und lauerte nun auf eine Gelegenheit, eine Unaufmerksamkeit des Lesvaraq.
Tomal war hellwach, all seine Sinne waren geschärft, die Muskeln und Nerven aufs Äußerste angespannt.
»Ich bin hier drüben«, hörte Tomal eine heisere Stimme flüstern.
»Wer ist da? Zeig dich sofort!«, antwortete Tomal.
»Ich bin es. Blyss!«
»Blyss? Was habt Ihr hier zu suchen?«
Das Gefäß war also der nächtliche Besucher, der sich wie ein Attentäter lautlos angeschlichen, versteckt und gelauert hatte. Tomal erinnerte sich sinngemäß an ein Gespräch mit dem Schattenwesen und erschrak bis ins Mark. Daran hatte er überhaupt nicht mehr gedacht. Kallya und er schwebten in einer fürchterlichen Gefahr. Blyss war eine Bedrohung. Die Worte ihres Gesprächs kamen Tomal wieder in den Sinn.
»Dann werde ich es tun. Kallya ist schon so gut wie tot. Ihr könntet mich schon heute freigeben«
, hatte Blyss damals auf das unbedachte Ansinnen des Lesvaraq gesagt.
»Ihr werdet Euch um
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