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Kryson 06 - Tag und Nacht

Kryson 06 - Tag und Nacht

Titel: Kryson 06 - Tag und Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Rümmelein
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Verschwindet!«, krächzte der Praister mit letzter Kraft. »Ihr werdet kommen, sobald ich euch rufe!«
    Die Worte des Praisters klangen wie eine Drohung. Aber sie verhallten im aufziehenden Nebel, der sich über das Ufer legte und Thezael den Augen Madhrabs entzog. Das Portal zog die Schatten zu sich. Sie lösten sich erneut auf und fanden sich alsbald im Reich der Schatten wieder.

Die Entfesselten
    W as ist mit dir, Bruder? Ist dir nicht wohl?«, fragte Saijkal mit besorgter Stimme. »Warum schiebst du nicht den Balken zur Seite und entriegelst endlich die Tür? Fürchtest du dich vor der Finsternis?«
    »Hör auf mit deinem albernen Geschwätz«, herrschte der dunkle Hirte seinen Bruder an. »Was werde ich mich vor der Finsternis fürchten. Ich habe keine Angst. Ich bin die Dunkelheit höchstselbst.«
    »Öffne doch endlich die Tür!«, sagte der weiße Schäfer sehr ungeduldig. »Wir sollten keine Zeit mehr verlieren. Soll ich dir zur Hand gehen? Oder fürchtest du dich doch vor dem Zorn der Gescheiterten, die hinter dieser Tür nur darauf warten, dass sie endlich befreit werden, um uns in Stücke reißen zu können? Immerhin haben sie ihr Schicksal uns zu verdanken. Insbesondere deiner ach so großen Güte und Besonnenheit. Ich muss dich wohl nicht erst daran erinnern, dass
du
die meisten Saijkalrae zum Verrotten in die Finsternis geschickt hast, nachdem sie in deinen Augen gescheitert waren. Ich hingegen war der Meinung, dass allenfalls eine Handvoll Saijkalrae dieses Schicksal verdient hatten.«
    »Ich glaube nicht, dass sie das so sehen werden, Bruder«, konterte der dunkle Hirte. »Du vergisst, dass wir eins sind. Du und ich. Für immer und ewig. In den Augen der Saijkalrae sind die Taten des einen auch die des anderen.«
    »Ach wirklich?« Der weiße Schäfer runzelte ungläubig die Stirn. »Denkst du wirklich, wir werden in einen Topf geworfen und zu einer einzigen Suppe verrührt? Der Gedanke verdirbt mir den Appetit und die Laune. Die Saijkalrae und natürlich auch die Gescheiterten unterscheiden sehr wohl zwischen Vernunft und Wahnsinn oder zwischen Tag und Nacht. Mein lieber Bruder, du unterliegst in dieser Sache einem Irrtum. Sie mögen ihre Seele an uns beide verloren haben, aber das Verrotten in der Finsternis verdanken sie überwiegend dir. Und das wissen sie auch. Aber was rede ich … öffne die Tür und finde es selbst heraus.«
    »Dann hilf mir doch endlich«, beschwerte sich der dunkle Hirte.
    Saijrae bekam den Riegel nicht auf. Der Holzbalken war schwer und klemmte fest. Sosehr der dunkle Hirte auch an Schloss und Balken rüttelte, darauf einschlug, fluchte und schimpfte – es ging keinen Zoll vorwärts.
    »Mir scheint, wir waren schon lange nicht mehr hier«, stellte der weiße Schäfer fest, »wir sollten den Balken buttern und das Schloss ölen lassen.«
    »Dafür ist jetzt keine Zeit«, meinte der dunkle Hirte, »hilf mir, mit vereinten Kräften schaffen wir das.«
    »Vielleicht sollten wir Haisan und Hofna an die Tür lassen. Die beiden bekommen sie gewiss schneller auf«, schlug Saijkal vor.
    »Du bist nur zu faul, mir zu helfen«, antwortete Saijrae. »Es sind unsere Gescheiterten! Wir müssen das schon selbst hinbekommen.«
    Mit vereinten Kräften schob sich der Balken Zoll für Zoll zur Seite. Saijkal und Saijrae schwitzten und ächzten gemeinsam. Ein seltenes Bild, das bei den Leibwächtern ein Grinsen auf die ansonsten eher ernsten Gesichter zauberte.
    Krachend fiel der Balken zu Boden. Saijkal sprang vor Schreck zurück, während Saijrae den Schlüssel im Schloss umdrehte und die Tür mit gewaltiger Kraftanstrengung öffnete. Die Türangeln quietschten. Vor den Blicken des dunklen Hirten tat sich ein dunkler Abgrund auf. Das Licht reichte nur bis zu den ersten steinernen Stufen, die steil hinab in die Tiefe und die Finsternis führten. Die Geräusche aus der Tiefe des Raumes ließen ihn einen Schritt zurückweichen. Ein Scharren, Kratzen und Stöhnen, als ob Verletzte über den Boden geschleift würden.
    »Die Gescheiterten haben das Licht am Ende der Treppe gesehen und schleppen sich darauf zu«, meinte der weiße Schäfer. »Lass uns hinabsteigen und sie begrüßen.«
    »Wie du meinst«, antwortete der dunkle Hirte. »Du gehst voran.«
    »Nein, Bruder«, lehnte der weiße Schäfer ab, »Haisan und Hofna gehen mit den Fackeln in der Hand voraus und leuchten uns den Weg. Ich habe keine Lust, mir den Hals zu brechen. Wozu haben wir Leibwächter?«
    »Sehr gut, Saijkal«,

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