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Kryson 06 - Tag und Nacht

Kryson 06 - Tag und Nacht

Titel: Kryson 06 - Tag und Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Rümmelein
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lächelte der dunkle Hirte, »das war das erste vernünftige Wort aus deinem Mund, seit wir vor dieser verdammten Tür stehen.«
    Die Leibwächter sahen sich gegenseitig an, zuckten mit den Schultern, entzündeten ihre Fackeln und begannen mit dem Abstieg. Saijkal und Saijrae folgten ihnen auf den Fersen. Sie mussten hintereinander die Treppe hinabsteigen und darauf achten, auf den unregelmäßig gehauenen und feucht gewordenen Stufen nicht zu stolpern. Der Weg in die Tiefe war steil und weit. Ein Fehltritt konnte reichen, um zu stürzen und die Vorausgehenden mit in die Tiefe zu reißen. Schließlich erreichten sie den letzten Treppenabsatz und blieben mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen stehen. Der dunkle Hirte hatte mit vielem gerechnet. Doch der Anblick, der sich ihm nun bot, war selbst für ihn abstoßend.
    Die Gescheiterten hatten sich mit allen Gliedern, die ihnen noch zur Verfügung standen, zur Treppe geschleppt. Manche waren auf allen vieren gekrabbelt, andere hatten sich mit beiden Armen oder nur noch einhändig zum Licht hingezogen. Wieder andere mussten sich wie Schlangen oder Würmer fortbewegen, um vorwärtszukommen. Die Gescheiterten boten einen erbärmlichen Anblick. Die meisten von ihnen waren schmutzig und abgemagert und bestanden nur noch aus Haut und Knochen unter den wenigen Stoff- und Fellfetzen, die sie am Leib trugen.
    Sie schützten ihre Augen vor dem Licht der Fackeln, so gut sie das eben vermochten. Manche waren selbst dafür zu schwach. Seit Ewigkeiten hatten die Saijkalsan kein Licht mehr gesehen. Offene, brandige Wunden, mit blutigem Schorf verkrustete Stellen, mit Eiter gefüllte Beulen, abgefallene Gliedmaßen und blutig schwarze Stümpfe. Die Haut hatte sich bei vielen Gescheiterten vom Fleisch gelöst, das darunter verfaulte und einen schrecklichen Geruch nach Verwesung verbreitete. Die blanken Knochen waren bei einigen Saijkalsan unter dem verrottenden Fleisch zu sehen.
    Der dunkle Hirte hielt sich die Nase zu. Der Gestank war unerträglich. Er würgte und wollte schon umkehren, aber Saijkal stieß ihn mit einem Finger in den Rücken und zwang ihn, sich den Gescheiterten zuzuwenden.
    »Das war ein schlechter Einfall«, flüsterte Saijrae, »ein widerlicher Anblick und ein Gestank zum Kotzen!«
    »Nein!«, erwiderte Saijkal. »Sieh sie dir genau an, Bruder. Erkennst du ihre Gesichter denn nicht wieder? Sie waren einst große Saijkalsan. Jeder Einzelne unter ihnen hat Taten vollbracht, über die noch lange nach ihrem Verschwinden geredet wurde. Sie waren gefürchtet unter den Klan und auch unter den Altvorderen. Sie waren begabter und vertrauenswürdiger als die meisten unserer neuen Anhänger. Und sie waren voller Liebe für uns. Aber sie scheiterten und deshalb sind sie hier. Sieh doch nur in ihre Augen! Gleichgültig was du siehst oder was aus ihnen geworden ist: Sie sind immer noch voller Hoffnung und Liebe zu den Saijkalrae. Sie sind unsere Waffe im Kampf um die Vorherrschaft auf Ell und um das Buch der Macht.«
    »Sie sind schwach und kaum in der Lage, sich zu bewegen, ihre Körper im letzten Stadium der Verwesung«, hielt der dunkle Hirte dagegen.
    »Was denkst du, wozu wir ihnen frische Körper besorgt haben?«, schüttelte Saijkal den Kopf. Er verstand seinen Bruder nicht. Sie hatten lange und oft darüber gesprochen.
    »Ja, ich weiß«, nickte der dunkle Hirte und sah sich unter den Gescheiterten um. »Ich hatte nicht mit diesem Anblick gerechnet. Außerdem … es sind so viele.«
    »Es sind weit mehr, als wir dachten«, gab der weiße Schäfer zu. »Wir hätten sie nicht aus den Augen verlieren sollen. Manche hatte ich längst vergessen. Aber jetzt, wo ich sie sehe, erinnere ich mich an jeden Einzelnen von ihnen und an ihre Taten. Die meisten Gescheiterten sind unter der Folter der Praister gestorben. In einer Zeit, in der wir besonders mächtig waren. Wir standen ihnen nicht zur Seite in der Not. Sie haben versagt, das stimmt, aber sie haben etwas Besseres als ihr Dasein in der Finsternis verdient. Sie sind für uns gescheitert, das solltest du nicht vergessen.«
    »Schön, ich habe es nicht vergessen. Nun sind wir hier, also bringen wir es auch zu Ende«, schlug der dunkle Hirte vor.
    Die magischen Brüder gingen, eng begleitet von ihren Leibwächtern, tiefer in das Gewölbe der Gescheiterten hinein. Der dunkle Hirte musste einige Male stehen bleiben, um seinen Ekel vor den untoten, stinkenden Kreaturen zu überwinden. Bald waren sie umringt von den langsam

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