Kryson 06 - Tag und Nacht
auch gelungen ist und er seine Liebe dort findet.«
»Ja, du hast recht«, antwortete Corusal, »sein Handeln und der Sieg waren anspornend für uns alle. Gwantharab! Foljatin! Hardhrab! Kommt! Wir wollen nicht verzagen und gemeinsam mit Warrhard neue Pläne schmieden, wie wir das Tor öffnen können.«
»Gut«, antworteten die Schatten im Chor, »lasst uns keine Zeit verlieren.«
Es dauerte eine Weile bis sich die Schatten wieder beruhigten und ihre Versuche, das Tor mit Gewalt zu öffnen, allmählich nachließen. Murhab atmete durch und sah sich um. Die Welt des Nebels war unwirklich, wie der Todsänger feststellen musste. Murhab stand auf der obersten Ebene einer weitläufigen, grauen und kargen Landschaft, die Höhen und unermesslich tiefe Schluchten aufwies. Hier gab es kein Leben. Alles war tot. Nichts wuchs auf den zerklüfteten Felsen. Zurückgezogen zwischen Hügeln und in Schluchten waberte der Nebel des Vergessens.
Der Nebel pulsierte langsam und gleichmäßig von innen, als ob ein lebendiges Herz in ihm schlüge. Er machte keine Anstalten, sich bis zum Tor auszubreiten. Im Gegenteil, Murhab hatte das Gefühl, als schliefe der Nebel, um sich zu schützen und nicht an Substanz zu verlieren, genau wie Saykara gesagt hatte. Immerhin ernährte sich der Nebel von den Seelen. Je mehr Seelen zu ihm kamen, desto stärker und dichter wurde er. So stellte sich Murhab den Nebel des Vergessens vor. Bei den Todsängern war es nicht viel anders. Vielleicht waren sie auf eine merkwürdige Weise miteinander verwandt – Seelenfresser unter sich. Murhab musste bei diesem Gedanken schmunzeln.
»Wo soll ich mit der Suche anfangen?«,
fragte er sich.
»Der erste Krieger der Maya könnte sich überall verstecken. Wie gelange ich in die unteren Ebenen? Das Land des Nebels ist riesig. Ich werde ihn niemals finden. Aber nun bin ich hier und darf nicht aufgeben. Vielleicht begegne ich einer verlorenen Seele, die mir sagen kann, wo ich diesen Gahaad finde.«
Murhab entfernte sich vom Tor, in der Hoffnung, es später wiederzufinden. Auf seinem Weg streifte er an Nebelfetzen vorbei, in denen er schemenhaft Gesichter, manchmal ein Bein oder eine aus dem Nebel ragende Hand erkennen konnte. Aber wenn er genauer hinsah, lösten sie sich wieder auf und verschwanden im grauen Dunst. Es hatte keinen Zweck, sich länger mit diesen Erscheinungen aufzuhalten. Sie halfen ihm nicht weiter, den Krieger zu finden.
Seine Stimmung hatte sich nicht gerade verbessert, nachdem er den zehnten Hügel umrundet, in drei tiefe Schluchten geblickt und noch immer nichts gefunden hatte. Doch plötzlich, während er den elften Hügel in Angriff genommen hatte, stand – wie aus dem Nichts – ein Schatten unmittelbar vor ihm.
»Wer bist du? Was hast du hier zu suchen?«, zischte der Schatten.
»Ich suche einen Krieger. Sein Name ist Gahaad«, antwortete Murhab, »kennst du ihn?«
»Du hast meine Frage nur zum Teil beantwortet«, beharrte der Schatten auf einer Antwort, »wer bist du?«
»Ich bin Murhab«, sagte Murhab.
»Schön für dich. Aber das wollte ich nicht hören«, erwiderte der Schatten, »du bist kein Schatten und hast kein Recht darauf, durch das Tor zu gehen und im Land des Nebels umherzustreifen. Also noch einmal … wer bist du?«
»Ich bin ein Todsänger«, antwortete Murhab, »und kein Schatten. Das ist wahr. Ich wurde geschickt, einen Geist zu suchen und einen Krieger – den ersten Krieger der Nno-bei-Maya. Den Geist habe ich bereits gefunden. Er will nicht mit mir zurück nach Ell kommen.«
»Wer will das schon? Gibt es etwas Schöneres, als einfach nur im Reich der Schatten umherzuwandern? Es gibt keinerlei Pflichten. Nichts. Nur die Erinnerungen, und selbst die gehen verloren, sobald die Schatten in den Nebel des Vergessens gehen.«
»Und wer bist du?«, wollte Murhab wissen.
»Ich … nun ich bin ein Schatten, den der Nebel wieder ausgespuckt hat. Schon vor langer Zeit. Er wollte mich nicht aufnehmen, obwohl ich lange genug im Reich der Schatten gewartet hatte. Ich darf nicht vergessen. Das ist meine Strafe für die Taten, die ich zu Lebzeiten beging. Eine sehr harte Bestrafung für jemanden wie mich, der längst alles bereut hat und dem von vielen verziehen wurde. Ich habe es noch im Reich der Schatten erfahren, meine Opfer haben es mir selbst gesagt. Weißt du, wie lange die Ewigkeit dauert?«
»Kennst du Gahaad?«
»Lass mich nachdenken. Hm … ich weiß nicht … warte … hm … nein.«
»Nein?«
»Nein. Aber wie
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