Kuche Totalitar - Wladimir Kaminer
süße Wonne des Orients, Wassermelonen und Weintrauben im Winter, Früchte, die kein Mensch zuvor gesehen hatte, Bauchtanz im Fernsehen, Rachat Lukum, Pilav, Samsa und Schaschlik. Das Restaurant »Usbekistan« in Moskau war eine unverzichtbare Pilgerstätte für alle Gourmets der Hauptstadt. Oh, ich glaube, mir wird schlecht.
Diese Zeilen schreibe ich tausende Kilometer weit vom Restaurant »Usbekistan« entfernt in St. Pölten, in einer volkstümlichen österreichischen Kneipe mit Eckgarnituren, angetrunkenen Kartenspielern, Pokalen an den Wänden und einem Mittagsmenü für vier Euro siebzehn: Kartoffelsuppe und Krenfleisch mit Sauerkraut. Für anspruchsvolle Gäste gibt es hier riesengroße Schnitzel, die aussehen wie Igel, die von einem LKW überfahren wurden. Jedes Mal wenn ein Handy klingelt, schauen alle hin, als hätten sie noch nie in ihrem Leben ein Funktelefon gesehen.
Aber zurück zu Usbekistan, einer multinationalen Republik mit fünfundzwanzig Millionen Einwohnern, von denen die meisten junge Usbeken sind; mit großen Flüssen, die permanent austrocknen; riesigen Wüsten; Bergen, die wenig Schatten werfen, und mit einer fünften Jahreszeit, Tschilla genannt: vierzig Tage im Sommer, bei denen die Tagestemperaturen auf stolze fünfzig bis sechzig Grad hochklettern. Das Überlebensgeheimnis bei solcher Hitze heißt »in sich hineinschwitzen«. Die Einheimischen ziehen dazu dicke Daunenmäntel an und trinken heißen grünen Tee. Dadurch werden ihre Mäntel von innen nass und von außen trocken. Auf diese Weise schützen sich die Usbeken gegen Überhitzung.
Die usbekische Kultur und Geschichte sind älter als die ältesten Kulturen und Geschichten der Welt, behaupten die alten Usbeken. Im Süden der Republik finden die Archäologen ständig Menschenknochen, die älter sind als die Menschheit selbst. Daraus lässt sich schließen, dass die ersten Menschen auf unserem Planeten doch nicht die Georgier waren, wie früher behauptet, sondern die Usbeken.
Vielleicht stammen die Überreste aber auch von ganz anderen Leuten, von einer urmenschlichen Touristengruppe, die sich in der Wüste verlaufen hat. Die Wahrheit werden wir wohl nie erfahren. Doch eins steht fest: Die Usbeken waren Frühentwickler. Ihre Herrscher haben sich als herausragende Wissenschaftler, Dichter und Maler einen Namen gemacht, sie übten sich in Astrologie, zählten alle Sterne zusammen, entdeckten Elixiere der Unsterblichkeit und schrieben dicke philosophische Traktate, während der Rest der Welt noch vergeblich versuchte, mit einem Stock Bananen von der Palme zu schlagen. Ihre anstrengende wissenschaftliche Tätigkeit hielt die asiatischen Herrscher jedoch nicht davon ab, laufend Kriege gegeneinander zu führen, die in ihrer Blutrünstigkeit kaum zu übertreffen waren. Die Ursachen für die Kriege waren meistens hausgemacht. Je länger ein Herrscher an der Macht blieb, desto größer wurde seine Familie. Das sorgte für komplizierte Verhältnisse. Irgendwann machten sich die Kinder, Brüder, Schwestern oder andere Familienangehörige selbstständig – dann gab es Krieg. Kaum ein usbekischer Herrscher starb eines natürlichen Todes. Entweder wurde er von seinem Sohn geköpft oder von seiner eigenen Oma verraten. Nur die Ehefrauen hielten bekanntlich immer zu ihrem Mann, denn die Frauen hatten traditionell in Mittelasien nichts zu melden.
Die Sowjetisierung Mittelasiens dauerte länger als geplant. Noch sieben Jahre nach der großen Oktoberrevolution streiften etliche schwer bewaffnete Kamelbanden durch die Wüste, die sich nicht entscheiden konnten, ob sie für oder gegen den Sozialismus waren, und deswegen von der Roten Armee überzeugt werden mussten. Als sowjetische Republik war Usbekistan bei uns hauptsächlich für Baumwolle und Exotik zuständig. Auf den vielen PropagandaBildern, die den sowjetischen Internationalismus symbolisierten, wurde Usbekistan durch ein süßes junges Mädchen in Nationaltracht repräsentiert. Das Mädchen hatte hundert Zöpfe und lächelte frech. Es hieß, die größte Errungenschaft der Sowjetmacht in Mittelasien war die Befreiung der Frau aus den Harems der Reichen. Gleichzeitig hatte die Mehrheit der sowjetischen Männer aber großes Verständnis für Harem-Wünsche. Ihre Träume von Mittelasien als einem einzigen Männerparadies fanden ihr Echo in dem berühmten sowjetischen Schlager »Wäre ich ein Sultan, hätte ich auch drei Frauen, Ihre dreifache Schönheit würde ich immer wieder gern
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