Kuche Totalitar - Wladimir Kaminer
Baikalsees plumpsen. Jelzin tat so, als wolle er es ihm nachtun, ging aber gleich wieder in die Sauna zurück. Toll, dachte ich, als diese Szene im Fernsehen gezeigt wurde. Ab jetzt muss jeder deutsche Kanzler mindestens einmal im Jahr in den Baikalsee springen, denn nach wie vor gilt: Die Angst vor Sibirien soll überwunden werden.
Diese nach wie vor reiche und dünn besiedelte Region rückt immer mehr ins Visier der ausländischen Investoren. Gern würden die westlichen Eliten ihr Kapital in die Eroberung Sibiriens stecken und auch so reich werden wie die russischen Oligarchen, die alle, ohne Ausnahme, ihre Gewinne mit sibirischen Bodenschätzen gemacht haben. Nur gibt es nach wie vor einen großen Arbeitskräftemangel in der Taiga, und auf die Russen ist kein Verlass. Sie erzählen bloß, wie gern sie ins kalte Baikalwasser springen, lassen aber den anderen immer den Vortritt. Und die Burjaten haben nach wie vor jede Menge mit ihren Göttern zu tun.
Übrig bleiben Millionen Arbeitslose aus Europa, vor allem Deutsche, die schon mehrfach Erfahrungen in Sibirien gesammelt haben. Deswegen werden hier zu Lande die Stimmen lauter, die behaupten: »Der Marsch zu neuem Wohlstand wird weit, der Weg steinig sein. Aber Bange machen gilt nicht. Auf also nach Sibirien
– ohne Zaudern, ohne Angst!« So stand es neulich auch in einer Hamburger Zeitung. Es gibt viel zu tun! Die Baikal-AmurMagistrale zu Ende bauen! Eine Autobahn von der Mongolei bis nach Spanien wäre auch nicht schlecht. Oder die A1 von Aachen durch Königsberg weiter bis nach Irkutsk verlängern. Also nichts wie weg, ab nach Sibirien, wo einem die Gurken ins Maul wachsen.
Beeren und Bären
Ein durchschnittlicher Sibirjake ist groß und kräftig, ob Frau oder Mann. Die Menschen wachsen schneller in der Kälte, weil sie einfach mehr Gesundheit, mehr Abwehrkräfte brauchen, um den schweren Wetterbedingungen zu trotzen. Die kräftigsten Jungs und die üppigsten Mädchen, die ich jemals kennen gelernt habe, stammten alle aus dem Norden. Deswegen essen und trinken die Sibirier viel. Einmal habe ich in Berlin eine Theatergruppe aus Omsk betreut. Deren Mitglieder hatten es nicht leicht, sich auf europäische Diät umzustellen. Die hiesigen Portionen lösten bei ihnen nur müdes Lächeln aus, selbst eine Double Big Pizza hielten sie für ein Kindergericht. Zum Frühstück schnitten sie die Brote nicht quer, sondern längs auf, die Wurst ebenso. Sie mussten so viel essen, weil sie so groß waren.
Man könnte an dieser Stelle sagen, gerade weil sie so viel essen, sind sie so groß geworden, und wenn sie nicht aufhören, werden sie nur noch größer. Das kann man natürlich so sehen, obwohl ich viele dünne Menschen kenne, die sehr viel essen, und andersherum viele Dicke, die fast ausschließlich von der Liebe leben. Ich glaube, im Fall von Sibirien ist die Größe eine natürliche Reaktion auf die Härte der Natur. Die Menschen dort sind freundlich und zurückhaltend. Sie werden aber auch so gut wie nie von anderen angemacht. Was hat es für einen Sinn, mit einem Mann zu streiten, dessen Hände groß wie Klosettdeckel sind? Ebenso, eine Frau anzubaggern, der man gerade bis zu den Schultern reicht, es sei denn, man steht auf so etwas. Die Kinder Sibiriens sind wie füreinander bestimmt, und auch ihre Küche passt perfekt zu ihnen.
Sibirische Gerichte überzeugen nicht nur durch die schiere Größe, sondern auch durch ihre Qualität. Man sagt, dass Ost und West sich auf dem sibirischen Tisch treffen. Die vielen Einwanderer, die einst versucht haben, dieses Land zu bezwingen, waren keine Gourmets, doch sie waren erfindungsreich und verdammt hungrig. Die sibirischen Landschaften, Wälder, Seen und Flüsse belieferten sie mit allen notwendigen Zutaten, die aber nicht leicht zu beschaffen waren. Die meisten Zutaten sind hier ebenfalls groß und haben scharfe Zähne. Außerdem sind sie meist selbst hungrig und greifen Menschen an, mit Ausnahme von Pilzen und Beeren, die friedlich vor sich hin reifen, dafür aber an Orten, die man nur unter Lebensgefahr erreichen kann. Deswegen hat die sibirische Küche den Beigeschmack eines Überlebenskampfes. Die Beute muss groß sein, damit man Vorräte für schlechte Zeiten anlegen kann.
Die Sibirier essen gern Fisch. Der Fisch ist groß, stark und lebt in tiefen Gewässern. Es gibt dutzende von Fischarten in Sibirien mit Namen, die einem Europäer nichts sagen, zum Beispiel Taimen oder Nelma, und sie sind mit herkömmlichen
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