Kuche Totalitar - Wladimir Kaminer
anschaun«.
Trotz der offiziellen Propaganda wollte niemand so recht glauben, dass die Usbeken ihre Frauen tatsächlich befreit und die alten Bräuche aufgegeben hatten. Dennoch brüsteten sich manche Usbekinnen auch weiterhin mit ihren unorthodoxen Familienverhältnissen. Eine Bekannte von mir, Dildora, die aus einer usbekischen Familie in Moskau stammt, behauptete, sie wäre auf Drängen ihrer Eltern beinahe die dreizehnte Frau des usbekischen Ministers für Landwirtschaft geworden. Das verlieh ihr in unseren Kreisen zusätzliche Autorität.
Die Vorstellung, dass es irgendwo in unserem Land einen Ort gab, an dem man eine unkomplizierte, ausbalancierte Beziehung mit mehreren Frauen gleichzeitig fuhren konnte, obwohl man bei sich zu Hause nicht einmal mit einer einzigen klarkam, diese Vorstellung wurde am besten in dem wohl berühmtesten sowjetischen Action-Film aller Zeiten widergespiegelt: Die weiße Sonne der Wüste. Er wurde jedes Jahr mehrmals ausgestrahlt, und die Mehrheit der Bevölkerung kannte ihn auswendig. Dort wurde die Geschichte eines russischen Soldaten erzählt, der am Ende des Bürgerkriegs in der Wüste Mittelasiens hängen geblieben war mit der Aufgabe, auf den Harem eines Aufständischen aufzupassen, der mit seiner Bande gegen die Rote Armee kämpfte. Der Russe wollte nur schnell nach Hause, wo seine eine und einzige Frau auf ihn wartete. Sie erschien ihm dauernd im Traum und schüchterte ihn dermaßen ein, dass er sich sofort auf den Weg machen wollte. Der Soldat musste aber zuerst seine Pflicht erfüllen. Er verteidigte mit einem selbst gebastelten Maschinengewehr die Haremsfrauen vor ihrem Mann und metzelte dabei eine ganze Männerbande nieder. Daraufhin verliebten sich alle Usbekinnen in ihn und sahen in dem Russen ihren neuen Herrn. Sie versuchten sogar, ihn zu verführen, er aber wollte sie nur befreien. »Geht nach Hause, ihr seid frei, blöde Kühe!«, lächelte er seinen Harem an. Danach verließ der Soldat die Wüste Asiens für immer. Viele Zuschauer hätten sich einen anderen Ausgang gewünscht. Sie hatten gehofft, der Soldat würde einige der Usbekinnen mitnehmen oder sie zumindest noch etwas länger beschützen. Aber das ging nicht. Wegen der Gleichberechtigung, der Brüderlichkeit und so weiter.
Drogen aus Usbekistan
Auf unserer Theaterschule gab es Studenten aus beinahe allen Republiken der Sowjetunion, aber keine Usbeken. Für die exotischen Bruderländer waren in unserer Gruppe zwei Jungs aus Kambodscha zuständig, die kein Wort Russisch sprachen, aber trotzdem erfolgreich Dramaturgie studierten. Der eine brachte uns bei, wie man einfache Zigaretten aromatisieren kann, indem man sie vor dem Anzünden mit Erkältungsbalsam einreibt. Der andere machte immer einen Kopfstand in der Pause und ging auf Händen die Treppe hinauf beziehungsweise hinunter. Wir applaudierten. Nach zwei Jahren stellte sich heraus, dass die Kambodschaner sich beim falschen Studiengang angemeldet hatten. Sie hatten die ganze Zeit angenommen, dass sie bei uns zu Zirkusakrobaten ausgebildet würden, und hatten das ganze Gerede als bloßes Vorspiel dazu betrachtet. Usbeken lernte ich zum ersten Mal in der sowjetischen Armee kennen. Sie hatten es besonders schwer in unserem Schnee, froren ständig und suchten deswegen nach einer wärmeren Arbeitsstelle, am liebsten in der Nähe eines Heizkörpers, auf dem sie sich sofort niederließen. In unserer Einheit dienten Usbeken als Heizer, Saunaaufseher, Wäschewechsel-Dienstleister und Küchengehilfen, also überall dort, wo sich eine Erhitzungsmöglichkeit bot.
Die meisten Soldaten bildeten Gruppen entsprechend ihrer Heimatgegend. So war ich die meiste Zeit mit einem Moskauer zusammen, der wegen seines soliden Aussehens den Spitznamen Professor trug. Zusammen beschlossen wir, Kontakte zwischen verschiedenen Ethnien zu knüpfen und als Erstes unseren usbekischen Wäschedienst näher kennen zu lernen. Es war nicht so leicht, das zu organisieren: Der usbekische Kollege saß die ganze Zeit in seinem Wäschezimmer auf hunderten von grauen Kopfkissen und trank Tee. Jedes Mal, wenn wir Ulugbeck, so hieß er, in ein Gespräch über seine Heimat verwickeln wollten, rief er nur: »Was willst du?« und bewarf uns mit Kopfkissen. Dafür gab es mehrere Gründe. Zum einen hielt Ulugbeck seine Arbeitsstelle als Kopfkissenaufseher für besonders wertvoll. Zum anderen hatte er unter den Kopfkissen allerlei Sachen verborgen und damit einen Schwarzmarkt organisiert. Seine
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