Kuehler Grund
dass sich jeder, der Laura am Tatabend gesehen hatte oder irgendwelche Informationen über ihren Tod geben konnte, bei der Polizei melden und eine Aussage machen sollte. Er rief die Zuschauer auf, sich zu überlegen, ob ihnen am Verhalten ihrer Ehemänner, Söhne oder Freunde etwas Ungewöhnliches aufgefallen war. Jede Information, ganz gleich wie unbedeutend sie auch erscheinen mochte, konnte der Polizei unter Umständen weiterhelfen. Er klang so, als ob Tailby den Text persönlich mit ihm einstudiert hätte.
Als Vernon zuletzt von Laura sprach, schlug er einen sanfteren, persönlicheren Ton an. Er nannte sie »unser kleines Mädchen« und beschrieb sie als aufgeweckten, intelligenten Teenager, der noch sein ganzes Leben vor sich hatte und brutal aus ihrer Mitte gerissen worden war. Er erzählte, wie gut sie in der Schule gewesen war und schilderte ihre Liebe zur Musik und ihre Leidenschaft für Pferde. Er erzählte den Millionen Fernsehzuschauern, dass Laura an diesem Tag an einem Reitturnier hätte teilnehmen sollen. Doch nun wartete ihr Pferd Paddy vergeblich auf sie. Als Schauspieler war er nur zweitklassig. Aber vielleicht konnte er mit der Tragödie nicht anders umgehen.
Schließlich wurde das Mikrofon an Charlotte Vernon weitergegeben. Sie hatte weit aufgerissene, trockene Augen, und Fry fragte sich, ob sie wohl noch immer unter Medikamenteneinfluss stand. Sie machte nicht viele Worte, aber wenigstens klang sie aufrichtig.
»Wir bitten Sie alle: Helfen Sie der Polizei, den Schuldigen zu finden.« Sie starrte direkt in die Kamera, schmal und von Trauer gezeichnet, während ihr Mann ihr tröstend den Arm um die Schultern legte. Das war das Bild, das die Zeitungen morgen bringen würden.
Auf die Nachrichtensendung folgte der Wetterbericht – noch mehr Sonne, keine Wolken bis zum Abend. Fry dachte an die letzten Stunden, an die frustrierende, zeitaufwändige Befragung der Wandergruppe. Sie hatten einen Studenten nach dem anderen aus dem Zelt geholt und in dem kleinen Büro des Campingplatzes bei Malham vernommen. Keiner von ihnen hatte irgendetwas gesehen, was sich in Frys Augen auch sehr leicht durch zwei Kollegen aus Nord-Yorkshire hätte abklären lassen.
Sie hätte zu gern gewusst, wer auf die glorreiche Idee gekommen war, sie und Hitchens hier herauf in die Pampa zu schicken, wobei es sich nicht vermeiden ließ, dass sie in diesem Hotel in Skipton übernachteten. Irgendjemand war überzeugt gewesen, dass die Wanderer etwas Wichtiges gesehen hatten – oder zumindest hatte dieser Jemand das behauptet. Und warum musste es unbedingt ein Detective Inspector sein, der eigentlich eines der Ermittlungsteams hätte leiten sollen? Ein Sergeant oder zwei Detective Constables hätten völlig ausgereicht.
Aber natürlich, die Idee musste von Paul Hitchens stammen. Sie hatte ihn in der Bar gelassen, wo er mit Bier und Whisky den Kurzurlaub vom Büro feierte. Er hatte ein saures Gesicht gemacht, als sie sich nach nur einem Glas Weißwein verabschiedet hatte, weil sie angeblich müde war. Ein nächtliches Saufgelage in einem Pub in Yorkshire war einfach nicht ihr Stil.
Inzwischen gingen die Ermittlungen in Edendale wahrscheinlich ohne sie in die entscheidende Phase. Sie fragte sich, was Ben Cooper wohl gerade machte. Sicher schäumte er von genialen Ideen und grandiosen Eingebungen nur so über. Genau wie gestern Abend. Es gab bestimmt nichts Dümmeres, als im Dunkeln durch den Wald zu stapfen, um einen Verdächtigen aus seinem Versteck zu holen, ohne Verstärkung anzufordern oder zumindest die Zentrale wissen zu lassen, wo man war. Wenn das alles war, was einem Instinkt und Intuition einbrachten, dann konnte sie getrost darauf verzichten. Sie konnte den Augenblick nicht vergessen, als sie gesehen hatte, dass Lee Sherratt ein Gewehr in der Hand hielt. Da hatte ihr Instinkt die Regie übernommen. Aber es war eine andere Art von Instinkt gewesen, eine körperliche Reaktion, ein notwendiger Verteidigungsmechanismus, den sie über Monate hinweg perfektioniert hatte.
Doch in diesem Moment geschah es nicht zur Selbstverteidigung, sondern aus panischer Angst um Ben Cooper. Es war die pure Angst gewesen, die sie zu dem zweiten, unnötigen Schlag veranlasst hatte. Nachdem sie Sherratt entwaffnet hatte, hätte sie ihn mühelos festnehmen können. Aber sie hatte noch einmal zugeschlagen, aus Angst und aus Wut. Ihr alter Lehrer wäre entsetzt gewesen. So etwas war ein Zeichen von Disziplinlosigkeit.
Fry überlegte, ob sie
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