Kuehler Grund
oder das verfaulte Kerngehäuse eines Apfels.
Doch dann stieß ein Beamter mit der Mistgabel auf Widerstand. Er kniete sich hin und grub mit der behandschuhten Hand weiter. Eine Plastikplane wurde auf dem Boden ausgebreitet und die nächste Schicht Mist sorgfältig darauf deponiert, für den Fall, dass das Material eingetütet und ins Labor geschickt werden musste. Der Mann von der Spurensicherung, der die Untersuchung der Feuerstelle inzwischen beendet hatte, kauerte sich neben den Beamten auf dem Misthaufen. Keiner der beiden Männer bemerkte etwas vom Dreck, in dem sie knieten, oder von den Fliegenschwärmen, die ihnen um die schweißnasse Stirn brummten.
Unter einer letzten Lage Dung wurden sie schließlich fündig. Inmitten der dunklen Masse schimmerte es weiß. Das Objekt war von der Zinke einer Mistgabel durchbohrt worden, zerstörte Muskeln und Sehnen, wie ein Einschussloch in dem nackten, weißen Fleisch, kamen zum Vorschein.
19
Fry schaltete so lange mit der Fernbedienung von einem Kanal zum anderen, bis sie eine Nachrichtensendung fand. Sie sah einen Beitrag über einen Sexskandal, in den ein Minister verwickelt war, hörte vom Abbruch der Gespräche in Nordirland und verfolgte die Berichterstattung über einen nicht enden wollenden Krieg in einem afrikanischen Land, einen unbegreiflichen Stammeskonflikt, der bereits Tausende von Menschenleben gefordert hatte. Alles wie gehabt.
Sie lag ausgestreckt auf dem Bett und knabberte einen der Kekse, die sie, in Zellophan verpackt und mit den besten Empfehlungen des Hotels versehen, auf dem Nachttisch in ihrem Zimmer gefunden hatte. Sie war aus den Schuhen geschlüpft, hatte ihre verschwitzten Sachen ausgezogen und sich den schwarzen Kimono übergeworfen. Leider hatte sie nicht genug Zeit gehabt, sich in einem Laden in Skipton noch mit Pralinen einzudecken.
Plötzlich flimmerten die Wälder um Moorhay über den Bildschirm. Offenbar befand sich die Kamera auf der Raven’s Side, wo der Vogelbeobachter Gary Edwards gestanden hatte. Sie war auf die Stelle gerichtet, wo Laura Vernon aufgefunden worden war, doch außer der Polizeiabsperrung war nichts zu sehen. Nachdem ein Reporter mit einem Mikrofon den Stand der Ermittlungen in wenigen Sätzen zusammengefasst hatte, wurde zum Revier in Edendale überblendet, gefolgt von einer Einstellung, die einen überfüllten Raum mit Scheinwerfern und Mikrofonen zeigte. An einem Tisch saßen DCI Tailby, der Pressesprecher der Polizei und Graham und Charlotte Vernon. In einer Ecke des Bildschirms wurde das Foto von Laura eingeblendet, das Fry inzwischen so gut kannte. Gleich würde der Aufruf der Eltern gesendet werden, der am Morgen aufgezeichnet worden war.
Der Bericht über den Fall Vernon dauerte mehrere Minuten. Um bei den Medien auf echtes Interesse zu stoßen, musste ein Mord heutzutage schon ein Kind oder einen Teenager betreffen, das war Fry klar. Ansonsten höchstens noch eine junge Mutter. Aber es kam offenbar auch darauf an, in welchem Landesteil das Verbrechen geschehen war. Es schien die englische Mittelschicht ganz besonders zu erschüttern, wenn ein Mord gewissermaßen im eigenen Vorgarten geschah, in der ländlichen Idylle des Peak District. Wenn Laura Vernon in London oder Birmingham auf einem Abbruchgrundstück im Slum gestorben wäre, hätten sich die Medien nicht so auf den Fall gestürzt. Aber über den Mord im reizvollen, verschlafenen Moorhay berichtete die Boulevardpresse nun schon seit einer ganze Woche in großer Aufmachung. Wo Diane Fry herkam, hätten die Zeitungen jeden Tag mit einer Mordmeldung aufwarten können. Manche Fälle erregten allerdings so gut wie gar kein Aufsehen, nicht einmal im näheren Umkreis. Ganz zu schweigen von anderen Verbrechen, über die es sich offenbar kaum zu schreiben lohnte. Vergewaltigung zum Beispiel.
Nach einigen einleitenden Worten von Tailby redete nur noch Graham Vernon. Fry wusste, dass die Kollegen in Edendale den Aufruf immer wieder abspielen würden, um die Vernons genau zu beobachten und nach Widersprüchen zwischen ihren Äußerungen vor laufender Kamera und ihren Einlassungen bei der Polizei zu suchen.
Es war in solchen Fällen durchaus üblich, die Angehörigen zu ermutigen, sich mit einem Hilfeaufruf an die Öffentlichkeit zu wenden. Angesichts der Tatsache, dass ihnen Millionen von Menschen am Bildschirm zuhörten, standen sie enorm unter Druck, mehr als in jedem Vernehmungszimmer.
Aber Vernon wirkte sehr souverän. Mit ruhiger Stimme bat er darum,
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