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Kuehler Grund

Titel: Kuehler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Booth
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war so voll, dass man sich kaum an den Ständern mit den Ansichtskarten vorbeizwängen konnte. Dicke Rucksäcke warteten vor der Tür auf ihre Besitzer, die in Reiseführern blätterten und sich die Tischsets mit den Abbildungen vom Nationalpark ansahen.
    Bald würden die Wanderer das Dorf wieder verlassen, um das Café in der Alten Mühle oder den Picknickplatz in Quith Holes anzusteuern und sich anschließend auf den Weg zum Eden Valley Trail zu machen, von wo aus sie sich auf die Wanderwege nach Norden und Süden verteilen würden. Binnen einer halben Stunde würden sie Moorhay verlassen haben.
    Harry Dickinson hatte ein tiefgefrorenes Hähnchen aus der Gefriertruhe genommen, für Gwen. Es lag schwer in seiner Hand und betäubte seine Finger. Doch während er in der Schlange vor der Ladentheke stand, um es zu bezahlen, wurde er plötzlich von einer Horde Jugendlicher umringt, die ihn anrempelten und ihm rücksichtslos die Ellenbogen in die Rippen stießen. Sie schienen ihn überhaupt nicht wahrzunehmen, als ob er nur ein Hindernis wäre, das sie überwinden mussten, um an die nächste Cola Light zu kommen.
    In Harrys Schläfe begann ein Äderchen zu pochen, als sich ein Mädchen an ihm vorbeiquetschte. Sie trug ein knappes, bauchfreies Oberteil und gestreifte Leggings, in denen ihre Hüften und ihr Po riesig aussahen. Das blond gefärbte Haar stand ihr wie schlecht gebündeltes Stroh vom Kopf ab, und als sie ihren Freunden etwas zurief, bemerkte er, dass sie eine silberne Perle in der Zunge hatte.
    Während sich das Mädchen vordrängte, trat sie Harry kräftig mit ihren Doc Martens auf den Fuß, sodass das auf Hochglanz polierte Leder seiner Schnürstiefel eine schmutzige Schramme abbekam. Wenn sie sich entschuldigt hätte, hätte er kein Wort gesagt. Aber sie drehte ihm den Rücken zu, ohne ihn weiter zu beachten, als ob sie in etwas Unappetitliches hineingetreten wäre, das sie später abwischen konnte.
    Als Harry ihr auf die Schulter tippte, starrte sie ihn ungläubig an und grinste so breit, dass zwischen ihren Zähnen ein grauer Klumpen Kaugummi zum Vorschein kam. Sie hatte auch einen Knopf im Bauchnabel, der zu dem in ihrer Zunge passte.
    »Hast du keine Manieren?«, sagte er.
    Sie sah ihn an, als hätte er eine Fremdsprache benutzt.
    »Was willst du denn, Opa?«
    Sie sprach den heimischen Dialekt, und Harry hatte das Gefühl, sie schon einmal im Dorf gesehen zu haben. Aber das spielte keine Rolle.
    »Wenn du dich schon vordrängelst und mir auf die Füße trittst, könntest du dich wenigstens entschuldigen.«
    »Ich habe genauso viel Recht, hier einzukaufen wie Sie.«
    »Genauso viel, aber nicht mehr. Merk dir das.«
    »Ach, verzieh dich«, sagte sie. Sie quetschte den Kaugummi durch die Zähne, sodass er sich auf ihren Lippen verteilte. Dann fischte sie die Masse mit der Zunge wieder in ihren Mund und glotzte Harry unverschämt an. Doch dann bewegte sich die Schlange vorwärts, und sie beachtete ihn nicht weiter.
    Harry wog das schwere Hähnchen in der linken Hand und starrte auf den Hinterkopf des Mädchens. Die Brust des Hähnchens war glatt und hart, mit einer dicken Eisschicht bedeckt. Er packte es bei den Schenkeln und schwang es.
    Das Mädchen schrie auf und machte einen Satz nach vorn, sodass sie auf den Jungen prallte, der in der Schlange vor ihr stand. Alle Augen richteten sich auf sie, während sie den alten Mann wütend beschimpfte. Sie rieb sich die Stelle auf dem Rücken, wo das eiskalte Hähnchen ihre nackte Haut wie ein Brandeisen versengt hatte.
    »Entschuldigung«, sagte Harry.
     
    Unter der wehenden Eisfahne vor der Post rutschte Sam Beeley auf einer weggeworfenen Coladose aus und landete zur allgemeinen Bestürzung mit einem schmerzvollen Plumps auf dem Bürgersteig, der Spazierstock mit dem Elfenbeingriff rollte klappernd in die Gosse. Zwei hoch gewachsene junge Männer mit australischem Akzent halfen ihm auf die Beine und hoben seinen Stock auf. Drei Mädchen, die gerade ihre geliehenen Mountainbikes an das Schaufenster gelehnt hatten, stürzten sich besorgt auf ihn, um ihn zu fragen, ob er sich verletzt hätte. Während sie ihm den Staub abklopften, beäugten sie interessiert die Australier. Alles stand um Sam herum, ein Kaleidoskop aus bunten Hemden und brauner Haut, wie Schmetterlinge, die sich kurz zu einer vertrockneten, blattlosen Pflanze verirrt hatten, bevor sie von neuen Düften angezogen wurden.
    Schließlich ließen ihn die jungen Leute in der Obhut von Harry und Wilford

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