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Kuehler Grund

Titel: Kuehler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Booth
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Ihre Personalakte«, sagte Hitchens. »Nicht schlecht.«
    Fry nickte. Sie wusste, dass sie nicht schlecht war. Sie war verdammt gut. Sie hatte bei allen Prüfungen als eine der Besten abgeschnitten. Seit sie bei der Kripo war, hatte sie eine überdurchschnittliche Aufklärungsrate aufzuweisen. In den West Midlands hatte sie eine Karriere vor sich gehabt und war für größere Aufgaben vorgesehen gewesen. Das konnte jeder sehen.
    »Es ist eine Schande, dass Sie Ihre alte Truppe verlassen mussten«, sagte Hitchens.
    Sie schwieg und wartete auf die Bemerkung, die unweigerlich folgen musste.
    »Aber es ist verständlich. Unter diesen Umständen.«
    »Ja, Sir.«
    Unter diesen Umständen. Genauso versuchte es auch Fry inzwischen zu betrachten. Die Umstände. Ein wunderbar kalter und objektiver Ausdruck. Umstände waren etwas, was andere Leute betraf, nicht etwas, was das eigene Leben auf den Kopf stellte, was einem die Selbstachtung raubte und alles zu zerstören drohte, was man je für erstrebenswert gehalten hatte. Über die Umstände konnte man sich nicht aufregen. Man konnte damit weiterleben und sich auf wichtigere Dinge konzentrieren. Unter Umständen.
    Sie fuhren einen Hügelkamm entlang, auf dessen einer Seite ein steiniger Hang steil zu einem kleinen Fluss hin abfiel. Allmählich verstellten immer mehr Bäume den Blick. Hier und da stand in einiger Entfernung zur Straße ein Haus, nicht alle davon bewirtschaftete Farmen.
    »Keine bleibenden Folgen?«, fragte Hitchens.
    Fry konnte es ihm eigentlich nicht verdenken, dass er noch einmal nachhakte. Das war früher oder später zu erwarten gewesen. Natürlich war das Thema auch bei ihrem Vorstellungsgespräch zur Sprache gekommen, und sie hatte die vorsichtig formulierten Fragen angemessen beantwortet, sehr vernünftig und emotionslos. Aber damit war die Sache bei Leuten wie DI Hitchens, auf deren Fürsprache sie angewiesen war, wenn sie weiterkommen wollte, noch längst nicht vom Tisch. Sie sah es nur als eine weitere Hürde, die sie nehmen musste.
    »Überhaupt keine«, sagte sie. »Damit bin ich fertig. Ich denke nicht mehr daran. Ich will einfach nur meine Arbeit machen.«
    »Berufsrisiko, hm? Augen zu und durch?«
    »So könnte man es vielleicht ausdrücken, Sir.«
    Er nickte beruhigt. Einen Augenblick lang fragte sich Fry, wie er wohl reagieren würde, wenn sie das täte, wonach ihr im Innersten wirklich zu Mute war, wenn sie brüllte und schrie und ihm mit den Fäusten das selbstgefällige Lächeln aus dem Gesicht prügelte. Sie war stolz auf ihre Selbstbeherrschung; sie hatte gelernt, die Wut fest in sich zu verschließen.
    Plötzlich wurde die Bebauung auf beiden Seiten der Straße dichter, obwohl noch kein Schild auf das Dorf hingewiesen hatte. Rechts lagen eine kleine Schule, einige ehemalige Farmgebäude, in denen jetzt kunstgewerbliche Werkstätten untergebracht waren, und ein winziges Dorfpostamt mit angeschlossenem Laden. Über den Dächern ragte der eckige Turm einer Kirche auf, umgeben von stattlichen Kastanien- und Ahornbäumen.
    Auf einem geschotterten Parkplatz standen mehrere Autos und Lieferwagen. Sobald DI Hitchens angehalten hatte, kam Police Constable Wragg an das Fenster des Wagens, einen Plastikbeutel in der Hand, in dem ein Reebok-Turnschuh lag. Wragg schwitzte.
    »Wragg? Wo ist DC Cooper?«
    »Der alte Mann zeigt ihm, wo er den Schuh gefunden hat, Sir.«
    »Wie kommt Cooper denn dazu? Er hätte warten müssen«, sagte Hitchens.
    »Der Alte wollte nicht warten. Heute ist nämlich sein Domino-Abend. Entweder jetzt oder nie, hat er gesagt.«
    »Sein Domino- Abend?«
    Wragg machte ein verlegenes Gesicht. »Er schien es wirklich ernst zu meinen«, sagte er.
     
    Im Grunde sah dieser Abschnitt des Weges genauso aus wie jeder andere. Der staubige Boden war von Baumwurzeln durchzogen, die durch die Erde brachen und an den steileren Stellen Stufen bildeten. Rechts und links klammerten sich Eichen und Birken an die Hänge, die Stämme dicht von Farn umringt. Halb im Farnkraut verborgen lagen einige große Felsbrocken wie überwucherte Trümmer eines Steinzeittempels. Vögel raschelten im Unterholz und stießen Warnrufe aus, untermalt vom Rauschen eines nahen Baches.
    »Aye, ungefähr hier«, sagte Harry.
    »Sind Sie sicher?«
    »Müsste stimmen.«
    Ben Cooper wusste nicht recht, was er von Harry Dickinson halten sollte. Normalerweise konnte er die Gefühle der Menschen, mit denen er bei dieser Art von Arbeit in Kontakt kam, wenigstens zum Teil

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