Kuehler Grund
Rennie, und dass Rennie nicht zählte, stand für sie jetzt schon fest. Hitchens war jünger als der Sergeant und besser ausgebildet. Also eine schnelle Beförderung; vielleicht war er auch ein Überflieger, genau wie sie. Er würde bestimmt Karriere machen, und in den oberen Etagen legte man auf seine Meinung sicher Wert. Fry wünschte sich nichts sehnlicher, als draußen im Gelände zu sein und an einem großen Fall zu arbeiten, als rechte Hand von DI Hitchens, mit der Chance, Eindruck zu machen. Sie hatte nicht die Absicht, sich lange mit Autoknackerstatistiken herumzuschlagen. Ein Mordfall wäre genau das Richtige. Aber er war zu früh gekommen, sie war noch zu neu im Revier. Also hielt sie vorerst mit Rennie im Büro die Stellung.
In ein, zwei Stunden musste die Suche nach Laura Vernon ohnehin abgebrochen werden. Selbst im August wurde es in den Bergen irgendwann dunkel, die Suchtrupps würden sich auflösen, die Beamten niedergeschlagen nach Hause gehen. Morgen würde es in der Zeitung und im Fernsehen Aufrufe an die Öffentlichkeit geben, und zivile Freiwillige würden sich melden, um sich an der Suche zu beteiligen.
Fry wusste, dass sie nur zwei Alternativen hatte. Entweder sie vertrieb sich irgendwie die Zeit, bis Rennie ihr eine Aufgabe zuwies, oder sie ergriff selbst die Initiative und fing langsam an, den neuen Kollegen zu zeigen, aus welchem Holz sie geschnitzt war. Aber sie hielt den Mund. Die Zeit war noch nicht reif – sie musste erst ihre Stellung festigen. Außerdem lohnte es die Mühe nicht, DS Rennie zu beeindrucken.
Dann ging die Tür auf und DI Hitchens steckte den Kopf ins Büro. »Wen haben wir hier? Ach, ja.«
Er sah enttäuscht aus, wie der Kapitän einer Mannschaft, dem bei der Spielerauswahl nur noch die Nieten geblieben waren, die sonst niemand haben wollte. Hitchens trug kein Jackett, die Manschetten seines Hemdes hatte er hochgerollt, sodass man seine stark behaarten Arme sah. Er war Mitte dreißig und wirkte immer so, als ob er gleich lächeln wollte. Fry, die seinen Blick aufgefangen hatte, sah zu Rennie hinüber, der zwar den Fuß vom Schreibtisch genommen, sich aber ansonsten kaum gerührt hatte.
Hitchens nickte. »Kommen Sie hier für eine Weile allein klar, Dave?«
»Aber sicher, Sir.«
Fry sprang auf. »Wohin gehen wir, Sir? Hat es etwas mit der vermissten Laura Vernon zu tun?«
»Was sonst? Ja, es wurde ein Fund gemeldet. Wir haben einen guten Mann vor Ort, der die Sache zurzeit noch überprüft, aber es klingt vielversprechend. Können Sie in zwei Minuten fertig sein?«
»Natürlich.«
Als der DI das Büro wieder verlassen hatte, ging Diane Fry zu ihrem Schreibtisch, um die Berichte über die geknackten Autos wegzuräumen. Dabei achtete sie darauf, Dave Rennie den Rücken zuzudrehen, damit er ihr Lächeln nicht sehen konnte.
Edendale war in ein breites Tal eingebettet, das den Peak District in zwei völlig unterschiedliche Hälften teilte. Auf der einen Seite lag der White Peak, der sich mit seinen sanften Kalksteinhügeln und den bewaldeten Tälern an Bakewell und Wyedale vorbei bis in das Gebiet der Dienststelle B und an die Grenzen von Staffordshire erstreckte, auf der anderen der spärlich besiedelte Dark Peak mit seinen trostlos kahlen Mooren und den Gipfeln des Mam Tor und des Kinder Scout, die wachsam auf die abgelegenen, stillen Talsperren unterhalb vom Snake Pass hinunterblickten.
Edendale war eine von zwei Städten, die innerhalb der Grenzen des Nationalparks lagen, die andere war Bakewell, einige Kilometer weiter südlich, eins der Reviere der Dienststelle E. Andere Städte, wie Buxton, wo die Zentrale der Dienststelle B lag, waren bei der Festlegung der Nationalparkgrenzen absichtlich ausgegliedert worden.
Um Buxton, wie auch um Matlock und Ashbourne, machte die Grenze einen großen Bogen. Aber Edendale lag zu tief in den Bergen, um aus dem Nationalpark herausgetrennt zu werden. Deshalb galten die strengen Naturschutz- und Bauvorschriften für die Stadt genauso wie für die Felswände des Mam Tor oder die Blue-John-Höhlen in Castleton.
Diane Fry musste sich mit der Geografie von Stadt und Tal erst noch vertraut machen. Bis jetzt kannte sie nur die unmittelbare Umgebung des viktorianischen Gebäudes, in dem ihre Wohnung lag, und die Straßen in der Nähe der Wache – einschließlich des Blicks auf die Tribüne des Edendale FC. Immerhin wusste sie schon, dass es, wenn man aus Edendale hinausfuhr, immer nur eine Richtung gab und zwar bergauf, ganz
Weitere Kostenlose Bücher