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Kuehler Grund

Titel: Kuehler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Booth
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deuten. Sie waren oft aufgeregt, ängstlich, wütend oder fassungslos vor Schock und Sorge. So reagierten diejenigen, die sich zum ersten Mal im Leben mit etwas so Furchtbarem wie einem Gewaltverbrechen konfrontiert sahen. Manche Leute wurden nervös oder unverhältnismäßig aggressiv. Auch das waren interessante Reaktionen, oft die ersten Anzeichen von Schuld. Bei den Menschen, mit denen er beruflich zu tun hatte, achtete er sehr genau auf solche Signale. Das gehörte für ihn zu den notwendigen polizeilichen Instinkten.
    Harry Dickinson aber hatte keinerlei Gefühle gezeigt, weder im Cottage bei seiner Frau und seiner Enkelin, noch jetzt, da er mit Cooper an der Stelle stand, wo er und sein Hund den blutigen Turnschuh gefunden hatten.
    Auf dem Weg hinunter zum Fuß der Raven’s Side war Harry schweigend und steif vorneweg marschiert, den Rücken durchgedrückt, mit den Armen gleichmäßig ausholend. Er hatte kein Wort mehr gesagt, seit sie das Haus verlassen hatten, und lediglich mit einem Kopfnicken die Richtung angedeutet, wenn sie an eine Abzweigung kamen. Es war, als ob der alte Mann aus Holz wäre. Cooper hätte ihn gern überholt, um zu sehen, ob er in seinen Augen etwas lesen konnte.
    »Ist Ihnen klar, dass Laura Vernon möglicherweise schwer verletzt ganz in der Nähe liegen könnte, Mr. Dickinson?«
    »Ja.«
    »Oder sogar tot?«
    Harry hielt Coopers Blick stand. Was war das für ein Ausdruck, der kaum wahrnehmbar in seinen Augen aufblitzte? Belustigung? Nein, Spott. Ungeduld über die überflüssigen Worte.
    »Das weiß ich selber. Ich bin doch nicht blöde.«
    »Es ist ungeheuer wichtig, dass Sie uns den genauen Fundort des Turnschuhs zeigen. Mr. Dickinson.«
    Harry spuckte ins Gras und kniff vor der tief stehenden Sonne die Augen zusammen, wie ein Indianer, der eine Fährte aufnahm. Mit dem Schirm seiner Mütze deutete er nach rechts.
    »Da unten? Neben dem Bach?«
    »Jess ist gern da unten, am Wasser«, sagte Harry.
    »Was ist hinter den Felsen?«
    »Gestrüpp, ein Dickicht. Da gibt es Kaninchen.«
    »Kam da der Turnschuh her?«
    Harry zuckte die Achseln. »Sehen Sie selber nach, mein Junge.«
    Cooper ging zu den Felsen hinüber. Nur die Spitzen traten aus dem Gras zu Tage, scharfe Kanten, die glitschig und tückisch aussahen. Freiwillig wäre er hier nicht spazieren gegangen, dafür gab es in der Umgebung genug bequemere Wege. Aus den kurzen, struppigen Grashalmen schloss er, dass hier gelegentlich Schafe weideten. Zwischen den Steinen zeichneten sich schmale Pfade ab, und auf der Erde lagen angetrocknete schwarze Kotkugeln.
    Cooper balancierte so gut wie möglich über die Felsen ins dichte Unterholz, um keine Fußspuren zu verwischen. Einige Schritte zu seiner Rechten, unterhalb einer glatten, grasigen Böschung, plätscherte der Bach, der an dieser Stelle recht seicht war. Ein verschwiegenes Plätzchen, der ideale Ort für ein ungestörtes Stelldichein.
    Er blickte über die Schulter zurück. Harry Dickinson war ihm nicht gefolgt. Er stand auf einer flachen Felsplatte, als ob er den Weg bewachte, und schien überhaupt nicht wahrzunehmen, was um ihn herum vorging. Ab und zu schloss er die Hand zur Faust, als vermisste er seine Hundeleine. Er wirkte vollkommen ruhig.
    Während Cooper tiefer ins Unterholz vordrang, streifte er Adlerfarn und blieb an wuchernden Brombeerranken hängen. Einige aufgescheuchte Wespen schwirrten um seinen Kopf, starteten blitzschnelle Scheinangriffe und wichen seinen sinnlosen Abwehrversuchen aus. Allmählich schloss sich das Laubdach über ihm, und es war wie in einer dunklen Höhle.
    Ein Stück voraus und etwa zehn Meter tiefer konnte er auf der gegenüberliegenden Seite des Baches einen mit kleinen Steinen eingefassten, breiten Weg erkennen, in den Holzbohlen eingelassen waren, die als Stufen dienten. Er zog sich wie eine Autobahnschneise durch die Natur, von zahllosen Füßen blank gewetzt und frei von jeglicher Vegetation. Cooper wurde klar, dass das der Eden Valley Trail sein musste, ein Wanderweg, der sich etwas weiter nördlich mit dem Pennine Way vereinigte. Es war eine sehr beliebte Route, die im Sommer Tausende von Wanderern anlockte.
    Aber an der einsamen, abgelegenen Stelle, wo er stand, war von dem belebten Wanderweg genauso wenig zu spüren wie auf dem Gipfel des Mam Tor. Ein vorbeikommender Wanderer hätte Cooper hier oben im Farnkraut nicht entdecken können, selbst wenn er sich die Mühe gemacht hätte, heraufzusehen.
    Er drehte sich um, verscheuchte

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