Kuehler Grund
hatte, würde die Gerichtsmedizin die Beweise für seine Schuld schon beibringen. Alles andere war nur Show.
»An dieser Stelle möchte ich festhalten«, sagte Tailby, »dass Mr. Edwards mit einem Fernglas von Zeiss ausgerüstet war, mit zehnfacher Vergrößerung und einem Linsendurchmesser von 45 Millimetern. Ein leistungsstarkes Gerät. Er sagt aus, er habe das Fernglas auf den Wald gerichtet, in dem der Vogel verschwunden war, und abgewartet, ob er ihn noch einmal zu Gesicht bekommen würde. Später habe sich dort tatsächlich etwas bewegt. Aber es sei nicht der Vogel gewesen.«
Tailby legte eine Kunstpause ein.
»Mr. Edwards führt aus, im Unterholz habe sich etwas Schwarzes bewegt, das er mit dem Fernglas verfolgt habe, doch es sei kein Vogel, sondern der Kopf eines Hundes gewesen. Da diese leistungsstarken Ferngläser nur ein begrenztes Blickfeld haben, nahm er es herunter und konnte mit dem bloßen Auge einen Mann mit einem Hund erkennen. Aus Mr. Edwards’ Aussage schließen wir, dass dies in der Nähe des Fundortes der Leiche gewesen sein muss. Die Zeit: etwa 19:15 Uhr.«
Im Raum wurde aufgeregt getuschelt. Ein Zeuge, der zur richtigen Zeit am Fundort der Leiche war, der das Gelände gut einsehen konnte, der mit einem leistungsstarken Fernglas ausgerüstet war. Was wollte man mehr? Ob der Vogelfreund sonst noch etwas gesehen hatte?
Fry hatte eifrig mitgeschrieben. Sie hatte die Seite mit den Spinnen und auch schon die nächste umgeblättert. Nun saß sie kerzengerade auf ihrem Stuhl, konzentriert und gespannt. Cooper sah ihr an, dass sie nur auf eine Gelegenheit lauerte, eine Frage vorzubringen und sich in den Vordergrund zu drängen.
»Leider«, führ Tailby fort, »verlor Mr. Edwards dann jegliches Interesse an dem Waldgebiet. Er kam zu dem Schluss, dass die Vogelpopulation die Anwesenheit von Menschen und Hunden als Störung empfinden würde. Dies gilt vor allem für den Schwarzrückigen Fliegenschnäpper, der offenbar besonders scheu ist. Er widmete sich also wieder den Zwergfalken. Mr. Edwards blieb noch bis etwa 21.30 Uhr auf der Raven’s Side, doch es fiel ihm nichts weiter auf, was für uns von Interesse wäre.«
Fry meldete sich. »Uber zwei Stunden, Sir? Was hat er denn die ganze Zeit gemacht?«
»Ja. DC Fry, richtig? Das hat man ihn ebenfalls gefragt, Fry. Er sagt aus, er habe auf die Dämmerung gewartet, um junge Eulen bei der Jagd zu beobachten.«
»Hat der Typ nichts Besseres zu tun?«, rief jemand von hinten.
»Ich muss wohl nicht daraufhinweisen, dass sich dieser Zeuge als ausgesprochen wertvoll erweisen könnte«, sagte Tailby, ohne auf den Einwurf einzugehen.
Ben Cooper hob die Hand. »Der Mann mit dem Hund, Sir. Dürfen wir annehmen, dass es sich dabei um Harry Dickinson gehandelt hat? Laut seiner Aussage geht er regelmäßig in der Gegend mit dem Hund spazieren.«
»Leider konnte uns Mr. Edwards keine Beschreibung geben. Er war zu weit entfernt und hat sich den Mann nicht mit dem Fernglas angesehen.«
Enttäuschtes Gemurmel machte sich breit.
»Interessiert sich mehr für Schwarzrückige Fliegenschnäpper als für Menschen«, sagte dieselbe Stimme wie vorher.
»Wir werden Mr. Dickinson auf jeden Fall noch einmal befragen«, sagte Tailby. »Bei seiner ersten Vernehmung wurde er nicht nach Samstagabend gefragt. Vielleicht war er zu der Zeit tatsächlich auf dem Baulk und hat etwas gesehen, was uns weiterhelfen könnte. Mr. Dickinson genießt für den Vormittag Priorität.«
»Wäre das nicht ein ziemlicher Zufall, Sir?«
»Inwiefern, Cooper?«
»Ich meine, wenn Dickinson zur Tatzeit am Tatort gewesen wäre und möglicherweise Laura Vernons Mörder gesehen hätte. Schon ist er zwei Tage später wieder zur Stelle und findet den Turnschuh, der uns zu ihrer Leiche führt. Darauf würde es doch wohl hinauslaufen. Ein bisschen zu viel des Zufalls.«
»Was wäre Ihre Interpretation, Cooper?«
»Ich finde, wir sollten Harry Dickinson ein bisschen härter rannehmen.«
Tailby runzelte die Stirn. »Im Augenblick betrachten wir ihn nicht als Verdächtigen, sondern als potenziell nützlichen Zeugen.«
»Aber wenn …«
»Also«, sagte Tailby und wandte sich ab. »Wir müssen unser Augenmerk auf die Familie richten. Wir dürfen die Möglichkeit eines Familienstreits nicht außer Acht lassen. Die Eltern stehen unter Verdacht.«Tailby wartete, ob ihn jemand fragen würde, warum. Niemand meldete sich. Er erklärte es trotzdem. »Bei den meisten Morden ist der Täter im
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