Kuehler Grund
wenn er zu dem alten Mann hinaufsehen wollte.
»Gleich«, sagte Harry.
Wilford reichte ihm zwei dicke lange Holzstangen hinauf. Harry suchte sich eine Stelle aus und rammte die erste Stange tief in den Kompost. Sie sank mit einem Schmatzen hinein und setzte eine faulig stinkende Wolke frei. Harry lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht darauf, bis nur noch das obere Drittel der Stange heraus sah.
»So ein Komposthaufen braucht Luft«, erklärte Wilford, während Harry den zweiten Stecken hineinrammte.
Der Jugendliche mit der Schubkarre kam wieder vorbei und sah Cooper mit einem verschwörerischen Grinsen von der Seite an. Er hatte kurz geschorene blonde Haare und einen Ring im rechten Ohrläppchen. Er war etwa genauso groß wie Cooper und hatte muskulöse Arme und Schultern. Sein Oberkörper glänzte schweißnass von der Anstrengung und der schwülen Wärme im Stall. Wenige Schritte entfernt warf der andere junge Mann Äste und Stroh auf das Feuer, um es nicht ausgehen zu lassen. Das Stroh fing an zu knistern, Flammen schlugen hoch.
Daneben waberte und dampfte der riesige Komposthaufen vor sich hin, umsummt von Fliegenschwärmen, die sich die leckersten, stinkendsten Stellen aussuchten. Cooper hielt sich Mund und Nase zu, ihm war übel. Er war Landluft gewöhnt, aber dieses Aroma war ganz besonders penetrant.
»Mr. Dickinson, ich muss wirklich mit Ihnen reden.«
»Wenn der Kompost fertig ist, riecht er nicht mehr«, sagte Sam.
»Jetzt gleich bitte«, raunzte Cooper, der allmählich die Geduld verlor.
Die drei alten Männer taten so, als seien sie von seinem Befehlston beeindruckt. Harry nahm in seinen Gummistiefeln Haltung an und salutierte feierlich. Wilford schwang sich die Mistgabel wie ein Gewehr über die Schulter. Sam stand von seinem Strohballen auf und grinste Cooper über den Komposthaufen hinweg verschmitzt an.
»Sie werden Ihren Weg schon machen, mein Junge«, sagte er. »Vielleicht bringen Sie es eines Tages sogar bis zum Chief Constable. Vorher müssen Sie bloß alle anderen aus dem Weg räumen, die noch vor Ihnen sind.«
Die alten Männer lachten, Cooper machte ein grimmiges Gesicht. Die Hitze setzte ihm immer stärker zu. Er fühlte sich kraftlos und gereizt. Er war erleichtert, als Harry vorsichtig vom Komposthaufen herunterstieg und zu ihm kam.
»Ich bin sowieso fast fertig«, sagte Harry. »Wenn Sie einen Augenblick warten, bis ich Jess geholt habe, können Sie mich nach Hause fahren. Dann rede ich auch mit Ihnen, so viel Sie wollen.«
»Gut«, sagte Cooper, der froh war, der Farm den Rücken kehren zu können.
»Blut und Knochen«, rief Sam ihm nach, als er über das Feld zum Wagen zurückging. Wilford stapfte hinter ihm her und holte ihn am Tor ein.
»Wollen Sie Harry wieder verhören?«, fragte er. »So nennt man das doch, oder? Verhören?«
Der Kompostgeruch hing in Wilfords Kleidern, an seiner Haut und in seinem Haar, und bei jeder Bewegung bröselten kleine Klumpen von seinen Stiefeln. Sein Atem ging ein wenig zu schnell, und sein Gesicht war angespannt.
»Wie Sie wissen, ermittle ich im Mordfall Laura Vernon.«
»Ja, ja, die Vernons. Die sind lange nicht so großartig, wie sie tun.«
»Wie meinen Sie das, Sir?«
»Die schwimmen im Geld und meinen, sie wären was Besseres. Aber das sind sie nicht. Sie waren schlecht für unser Dorf.«
»Menschen wie sie stoßen immer auf Ablehnung.«
»Aye, schon, aber jeder weiß doch …«
»Was weiß jeder?«
Wilford zuckte die Achseln, nahm seine Mütze ab und fuhr sich mit der Hand durch das Haar. Der weiße Fleck auf seiner Kopfhaut, der die Sonne nicht annahm, leuchtete hell zwischen den Sommersprossen.
»Spielt keine Rolle, schätze ich. Sie wollen sicher noch mehr Fragen über das Mädchen stellen.«
»Sicher. Das ist genau das, was wir schon die ganze Woche tun. Wenn Sie irgendetwas wissen …«
»Nein, nein. Aber es stimmt, nicht wahr?« Er sah Cooper fragend an. »Jede Sünde wird irgendwann bestraft. Oder wie wir im Bergwerk immer gesagt haben: Früher oder später tritt jede Sünde zu Tage.«
Cooper wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Aber Wilford erwartete ohnehin keine Antwort. Sie kamen an den baufälligen Hütten und dem gemauerten Schuppen vorbei, aus dem am Dienstag die Ziege weggelaufen war.
»Die Ziege ist heute aber leise«, sagte Cooper.
»Aye. Kann man wohl sagen.«
Cooper warf einen Blick in den Stall, doch er war leer. Auf der Koppel war die Ziege auch nicht zu sehen. Harry, der hinter einem Zaun
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