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Kuehles Grab

Titel: Kuehles Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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verkriechen. Ganz bestimmt haben Sie etwas auf dem Herzen.«
    Charlie deutete auf eine Bank und ging darauf zu. Ich folgte ihm widerstrebend – ich tauschte mich nie mit Fremden aus, und trotzdem verspürte ich seltsamerweise nicht den Drang, dieses Treffen rasch zu beenden. Bella war glücklich, und ich fühlte, wie sich in der Gegenwart dieses warmherzigen, umgänglichen Mannes etwas in meinem Inneren entfaltete. Charlie Marvin kannte das Schlimmste der menschlichen Natur. Wenn er noch Grund zum Lächeln hatte, dann konnte ich das vielleicht auch.
    »Prima«, sagte er munter, als er die Bank erreichte und merkte, dass ich noch nicht das Weite gesucht hatte. »Fangen wir mit dem Grundlegenden an.« Er streckte mir die Hand hin. »Guten Abend, mein Name ist Charlie Marvin, ich bin Pfarrer. Es freut mich, Sie kennenzulernen.«
    Ich spielte mit. »Guten Abend. Mein Name ist Annabelle, ich bin Designerin. Es ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen.«
    Wir gaben uns die Hand. Mir fiel auf, dass Charlie keine Reaktion zeigte, als er meinen Namen hörte – warum sollte er auch? Mir hingegen war mulmig zumute, nachdem ich meinen echten Namen zum ersten Mal nach fünfundzwanzig Jahren einem Fremden gegenüber ausgesprochen hatte.
    Charlie setzte sich, ich folgte seinem Beispiel. Es war schon spät, der Park beinahe menschenleer, also ließ ich Bella von der Leine. Sie sprang an mir hoch und rannte dann los.
    »Wenn Sie mir die Bemerkung erlauben«, begann Charlie, »Sie klingen nicht so, als kämen Sie ursprünglich aus Boston.«
    »Meine Familie ist oft umgezogen, als ich ein Kind war. Aber ich betrachte Boston als meine Heimat. Und Sie?«
    »Ich bin in Worcester aufgewachsen.«
    »Dann sind Sie also ein Einheimischer. Frau, Kinder, Hunde?«
    »Ich hatte eine Frau. Und wollte Kinder. Gott hatte jedoch andere Pläne mit mir. Meine Frau bekam Krebs. Sie starb … Oh, das ist jetzt gute zwölf Jahre her. Wir hatten ein kleines Häuschen in Rockport. Ich habe es verkauft und bin in die Stadt zurückgekommen. Das erspart mir die Fahrerei – möglich, dass ich nicht mehr der beste Autofahrer bin. Mein Verstand funktioniert noch prächtig, aber die Hände sind langsam geworden und tun nicht immer sofort das, was man von ihnen verlangt.«
    »Und Sie arbeiten bei den Obdachlosen?«
    »Ja. Ich helfe freiwillig in der Pine Street aus – im Obdachlosenasyl und in der Suppenküche. Außerdem bin ich der Überzeugung, dass ich am meisten bewirke, wenn ich unter die Leute gehe. Die Obdachlosen verirren sich nicht oft in eine Kirche, also muss man zu ihnen gehen.«
    Das machte mich neugierig. »Deshalb kommen Sie an Plätze wie diesen – und was machen Sie? Predigen? Essen spendieren? Flugblätter verteilen?«
    »Hauptsächlich höre ich zu.«
    »Wirklich?«
    Er nickte eifrig. »Denken Sie, die Obdachlosen fühlen sich nicht einsam? Oh, das tun sie. Selbst die geistig Minderbemittelten und die Armen verspüren das Bedürfnis nach menschlicher Nähe. Ich setze mich zu ihnen und höre mir ihre Lebensgeschichten an. Manchmal schweigen wir zusammen. Das kann auch schön sein.«
    »Und das funktioniert? Haben Sie schon jemanden gerettet?«
    »Ich habe mich selbst gerettet, Annabelle. Genügt das nicht?«
    »Tut mir leid, ich meinte …«
    Er wischte meine Verlegenheit mit einer Handbewegung weg. »Ich weiß, was Sie meinen. Ich wollte Sie nur ein wenig auf den Arm nehmen.«
    Es schien ihn zu belustigen, dass mir die Röte ins Gesicht schoss. Er wurde jedoch sofort wieder ernst und beugte sich vor. »Nein, ich kann nicht behaupten, dass ich jemanden auf wundersame Weise ins geregelte Leben zurückgeführt habe. Eine Schande, wenn man bedenkt, dass das Durchschnittsalter der Obdachlosen vierundzwanzig ist.« Er bemerkte meinen erstaunten Blick und nickte. »Ja, es ist ernüchternd, nicht wahr? Und knapp die Hälfte aller Obdachlosen ist geistig krank. Um ehrlich zu sein, diese Menschen gehören nicht zu der Sorte, die ihr Leben radikal verändern, nachdem man ihnen eine Dusche ermöglicht und einen Teller Suppe hingestellt hat. Sie brauchen Hilfe und Anleitung. Meiner bescheidenen Meinung nach würden sie am meisten bei einem Kurzaufenthalt in einer therapeutischen Klinik profitieren, doch in diesen Zeiten wird ihnen eine solche Zuwendung nicht zuteil.«
    »Sie sind ein netter Mann, Charlie Marvin.«
    Er drückte spielerisch die Hände auf die Brust. »Oh, seien Sie still – mein Herz beginnt zu hüpfen. Ich bin zu alt für solche

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