Kuehles Grab
›Ich will verdammt sein, wenn ich zulasse, dass er auch noch Gewalt in mein Haus bringt.‹ Nein, dein Vater war ein liberaler Akademiker bis ins Mark. Wir sollten darüber reden, gib dem Frieden eine Chance und all diese Parolen – danach hat er gelebt.«
»Haben Sie sich eine Waffe zugelegt?«
»Ja. Allerdings hat das nichts genützt. Ich hätte sie Dori nach Lawrence mitgeben sollen.« Mr. Petracellis Gesichtsmuskeln zuckten erneut – die Bitterkeit gewann die Oberhand.
»Lana hat erzählt, dass deine Eltern gestorben sind«, wechselte er abrupt das Thema.
»Das stimmt, Sir.«
»Wann ist es passiert?«
Ich dachte nach – weshalb wollte er das wissen? »Ist das wichtig?«
»Vielleicht.«
»Warum?«
Seine Lippen wurden schmal. »Wohin seid ihr gegangen, Annabelle?«, fragte er barsch. »Als ihr in den Urlaub gefahren seid, wie weit seid ihr da gekommen?«
»Bis nach Florida.«
»Und dein Vater hat dort einen Job angenommen? Ihr seid in Florida geblieben?«
»Er fuhr Taxi. Das ist nicht gerade dasselbe, wie Professor zu sein, aber er dachte offenbar, dass sich diese Verschlechterung auszahlt.«
Diese Neuigkeiten schienen Mr. Petracelli zu überraschen. Wunderte er sich darüber, dass mein Vater seine akademische Karriere geopfert oder dass er wegen des Jobs nicht gelogen hatte? Er blinzelte verwirrt. »Entschuldige«, flüsterte er. »Wahrscheinlich werde ich auf meine alten Tage noch paranoid. Ein Wunder wär's nicht, schließlich schrecke ich in den meisten Nächten schreiend aus dem Schlaf.«
Es hatte wieder angefangen zu regnen. Mr. Petracelli machte Anstalten zu gehen. Ich legte die Hand auf seinen Arm, um ihn zurückzuhalten. »Warum stellen Sie diese Fragen über meinen Vater, Mr. Petracelli? Was wollen Sie wissen?«
»Es ist nur … nach Doris Verschwinden sagte ein Nachbar aus, er habe einen weißen Van in der Gegend gesehen; er konnte sogar den Mann am Steuer beschreiben. Lana war nie meiner Meinung, aber mein erster Gedanke war …«
»Ja?«
»Kurzes dunkles Haar, gebräuntes Gesicht, gutaussehend. Ich bitte dich, Annabelle.« Mr. Petracellis Gesichtsausdruck veränderte sich abrupt – das Funkeln erschien wieder in seinen Augen. »Sag du mir, auf wen das zutrifft.«
Ich kapierte nicht sofort. Dann traf mich seine Andeutung wie ein Keulenschlag. Ich wollte meine Hand wegziehen, aber er packte sie und hielt sie fest.
»Das ist absurd!«, herrschte ich ihn an.
»Doch, Annabelle. Die Beschreibung des Mannes, der Dori entführt hat, passt haargenau auf deinen Vater.« Er schleuderte meine Hand weg. Ich fiel auf den nassen Asphalt, verstauchte mir die Finger, die ich schützend vor meine Brust hielt. Bella kläffte hysterisch. Ich griff nach ihr, versuchte, sie und mich zu beruhigen. Als ich aufschaute, war Mr. Petracelli verschwunden.
28
Carl feuerte mich. Ich blieb ziemlich gefasst, wenn man bedachte, dass ich den Job dringend brauchte. Im Grunde war ich erleichtert, dem lauten, chaotischen Quincy Market zu entkommen. Bella war niedergeschlagen und trottete an meiner Seite, als wir Faneuil Hall verließen und in den Columbus Park gelangten.
Der Park am Hafen war klein, doch er hatte einen Springbrunnen, an dem die Kinder tobten und sich im Sommer erfrischten, während sich die Erwachsenen im Gras sonnten oder im Schatten der langen Holzpergolen ausruhten. Es gab einen Spielplatz, einen Rosengarten und einen kleinen Brunnen, den die Obdachlosen mit Beschlag belegten.
Manchmal brachte ich Bella vor meiner Schicht im Starbucks hierher, damit sie mit ihren Artgenossen aus dem Viertel herumtollen konnte. Ich stand dann abseits von den anderen Hundebesitzern und sah zu, wie sich unsere Lieblinge gegenseitig über die Wiese jagten.
Jetzt war es zu kalt und nass für die Kinder und zu spät für Hunde oder ein Schwätzchen unter Nachbarn. Die Obdachlosen schliefen auf den Bänken. Die Nachtschwärmer durchquerten den Park mit zielstrebigen Schritten, um von den Restaurants im North End zu den Bars in Faneuil Hall zu wechseln. Ansonsten war es still im Park.
Ich musste wieder an diesen Zettel an der Windschutzscheibe von D. D. denken. Geben Sie das Medaillon zurück oder ein anderes Mädchen muss sterben.
Lag jetzt irgendwo ein kleines Kind im Bett, vielleicht mit einem Stoffhund und einer rosa Decke? Fühlte es sich geborgen, weil die Eltern da waren und aufpassten? Dachte es, es könne ihm im eigenen Haus nichts passieren?
Er würde durch den Garten schleichen, sich mit einem
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