Kuehles Grab
Eola?«
»Ist höchstwahrscheinlich ein Mörder, aber eben nicht unser Mörder.«
»Charlie Marvin?«
»Ein braver pensionierter Pfarrer, der gute Taten im Pine Street Inn vollbringt. Laut Zeugenaussagen war er letzte Nacht dort.«
»Adam Schmidt?«
»Keine Ahnung. Da musst du Sinkus fragen.«
»Sinkus hat dich gesucht«, sagte D. D. »Er war am Nachmittag bei Jill Cochrane, der damaligen Oberschwester vom Boston State Mental. Ihr beide solltet euch schnellstens besprechen.«
Bobby starrte D. D. an. »Das ist alles? Ich decke die wahre Identität von Annabelles Vater auf, schaffe den Durchbruch in diesem Fall, und du kritisierst mich, weil ich mich noch nicht mit meinen Kollegen abgesprochen habe?«
»Ich kritisiere dich nicht«, gab sie gereizt zurück. »Aber all dein Scharfsinn hat eine Riesenlücke noch nicht geschlossen.«
»Und die wäre?«
»Wo, zum Teufel, steckt Tommy Grayson, wenn er nicht gerade um Annabelles Apartment herumschleicht und Kampfhunde im Wald auf andere hetzt?«
»Das nächste Mal serviere ich dir den Täter auf einem Silbertablett.«
»Wenn der Rest der Grayson-Familie falsche Identitäten angenommen hat«, fuhr D. D. fort, als hätte sie ihn nicht gehört, »warum dann nicht auch Tommy? Die beste Methode, ihn so rasch wie möglich ausfindig zu machen, ist, das andere Puzzleteilchen, das wir kennen, zu untersuchen.«
»Das andere Puzzleteilchen?«
»Boston State Mental.«
»Oh«, rief Bobby begriffsstutzig. Eine Sekunde später ging ihm ein Licht auf. »Okay. Wir sind also wieder bei unserer ursprünglichen Theorie – der Killer muss sich auf dem Gelände ausgekannt haben, wenn er sechs Leichen dort versteckt hat. Das heißt, falls Tommy Grayson unser Mörder ist …«
»Der, nach deinen Angaben, einen kriminellen Hintergrund hat …«
»Er ist ein unzurechnungsfähiger Irrer.«
»… dann könnte Tommy Grayson im Boston State Mental untergebracht gewesen sein.«
»Und«, fügte Bobby hinzu, »Sinkus hätte die entsprechende Information.«
»Du wirst noch ein guter Detective«, meinte D. D. tonlos. »Gibt's sonst noch was, was ich wissen muss?«
»Ich bringe Annabelle in einem Hotel unter.«
D. D. zog eine Augenbraue hoch.
»Und ich denke – auch wenn ich das ihr gegenüber noch nicht erwähnt habe –, dass wir, solange sie im Hotel ist, einen Lockvogel in ihr Apartment setzen könnten.«
D. D. schürzte die Lippen. »Das ist teuer.«
Bobby hob die Schultern. »Dein Problem, nicht meines. Allerdings kann ich mir kaum vorstellen, dass sich die Sache noch lange hinzieht. Nach den Aktivitäten zu schließen, die Tommy in den letzten vierundzwanzig Stunden an den Tag gelegt hat, scheint seine Geduld allmählich erschöpft zu sein.«
»Ich werde dem Deputy den Vorschlag unterbreiten«, sagte D. D.
»Okay.« Bobby machte Anstalten zu gehen.
D. D. hielt ihn zurück. »Bobby«, sagte sie ruhig. »Nicht schlecht.«
34
Als ich zwölf Jahre alt war, hatte ich eine ausgesprochen aggressive Virusinfektion. Ich weiß noch, dass mir entsetz lich heiß und übel war. Irgendwann wachte ich im Krankenhaus auf. Ich war sechs Tage ohne Bewusstsein gewesen. Und meine Mutter sah aus, als hätte sie in diesen sechs Tagen nicht eine Minute geschlafen.
Ich fühlte mich schwach und benommen, war zu erschöpft, um die Hand zu heben, zu durcheinander, um das Gewirr von Schläuchen und Kabeln, die an meinen Körper angeschlossen waren, zu erkennen. Meine Mutter saß auf einem Stuhl neben dem Bett. Als ich die Augen öffnete, sprang sie auf.
»Oh, Gott sei Dank!«
»Mommy?« Ich hatte sie schon Jahre nicht mehr Mommy genannt.
»Ich bin hier, Liebes. Es ist alles gut. Ich bin bei dir.«
Ich erinnere mich, die Augen wieder geschlossen zu haben. Kühle Finger strichen mir das Haar aus dem verschwitzten Gesicht. Ich hielt Mutters Hand und döste ein, und in diesem Augenblick fühlte ich mich geborgen und sicher, weil meine Mutter da war. Mit zwölf Jahren glaubt man, dass einen die Eltern vor allem beschützen könnten.
Zwei Wochen später verkündete mein Vater, dass wir umziehen würden. Selbst ich hatte das kommen sehen. Ich hatte eine ganze Woche in der Klinik gelegen, war von Ärzten untersucht worden. Anonyme Menschen konnten sich eine solche Aufmerksamkeit nicht leisten.
Ich packte selbst meinen Koffer. Er war nicht schwer. Eine Jeans, Shirts, Unterwäsche, mein einziges hübsches Kleid. Die Decke und Boomer, den Stoffhund. Den Rest musste ich zurücklassen, das wusste
Weitere Kostenlose Bücher