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Kuehles Grab

Titel: Kuehles Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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verlieren.
    Ich suchte den richtigen Schlüssel an meinem Ring und steckte ihn ins Schloss. Die alte, schwere Tür öffnete sich ächzend zu dem schwarzen Loch, das in die Eingeweide des Gebäudes führte. Ich hob die Hand und tastete nach der Kette, mit deren Hilfe man die nackte Glühbirne über der Treppe einschalten konnte.
    Die Luft hier roch anders – kalt, modrig wie moosbewachsene Steine oder feuchte Erde. Es roch wie in Doris Grab.
    Bella lief ohne Bedenken die schmale Holzstiege hinunter. Wenigstens eine von uns hatte Mut. Ich folgte ihr vorsichtiger.
    Die groben Sperrholzabteile reihten sich der Treppe gegenüber aneinander. Als Mieterin aus der vierten Etage hatte ich eines der Abteile am Ende der Reihe, gesichert mit einem Vorhängeschloss. Es dauerte eine Weile, bis ich das Schloss aufbekam. In der Zwischenzeit schnüffelte sich Bella durch den Keller und gab jedes Mal ein glückliches Kläffen von sich, wenn sie einen versteckten Schatz entdeckt hatte. Ich holte das Gepäck meiner Eltern aus dem Verschlag. Fünf Stücke, grüner Stoff, der an verschiedenen Stellen mit breitem, braunem Klebeband geflickt war. Die Rollen des größten Koffers quietschten fürchterlich, als ich ihn über den Boden zog.
    In diesem Augenblick sah ich viele Bilder wie Schnappschüsse vor mir. Mein Vater am letzten Nachmittag in Arlington. Mutter, die, vergnügt und beschwingt von der Sonne Floridas, die Koffer in unserem ersten Apartment auspackte. Einpacken in Tampa. Auspacken in Baton Rouge. Der kurze Aufenthalt in New Orleans.
    Nie hatte ich meine Eltern mehr vermisst als in diesem Moment. Meine Finger schlossen sich um die Phiole, und ich hatte das Gefühl, sie stünden in dem kalten, feuchten Keller direkt neben mir.
    Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich an ihrer Stelle genauso gehandelt hätte. Ich würde auch Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um mein Kind zu beschützen. Meinen Job, meine Identität, meine Gemeinde, sogar mein Leben aufgeben. Auch für mich wäre es das alles wert. Darum ging es, wenn man Mutter oder Vater war.
    Ich liebe euch, versuchte ich ihnen zu vermitteln und glaubte daran, dass sie mich hören konnten. Ohne diesen Glauben wäre ich nicht besser als Mr. Petracelli und würde in einem Meer aus Bitterkeit und Reue versinken.
    Immer voran und nach oben, lautete der Leitspruch meines Vaters.
    »Voran und nach oben«, flüsterte ich. »Gut, Daddy, bringen wir's hinter uns.«
    Ich zerrte die Gepäckstücke vor die Tür, schloss das Kellerabteil ab und pfiff Bella. Wohl oder übel musste ich zweimal gehen, um alles nach oben zu schaffen. Ich begann mit dem größten Koffer, schnallte einen kleineren drauf und hängte mir eine Reisetasche über die Schulter. Dann lief ich durch den schmalen Gang zwischen den Verschlägen und sah auf.
    Charlie Marvin stand oben an der Treppe, spähte herunter und entdeckte mich in dem trüben Licht.
    Bobby war auf dem Weg zu Sinkus, als sein Handy klingelte. Er prüfte die Nummer auf dem Display, dann meldete er sich. »Hast du das Fax bekommen?«
    »Dir auch einen schönen Tag«, sagte Catherine.
    »Entschuldige. Ich habe eine Menge um die Ohren.«
    »Wie ich an dem Fax gesehen habe. Um deine Frage zu beantworten – es könnte dieselbe Zeichnung sein.«
    »Könnte?«
    »Bobby, es ist siebenundzwanzig Jahre her.«
    »Annabelles Vater hast du auf dem Foto sofort wiedererkannt«, erwiderte er.
    »Annabelles Vater hat mit mir gesprochen.« Catherine klang verärgert. »Er hat mir widersprochen und mit mir gestritten, mich regelrecht bedrängt – so was hinterlässt Eindruck. Die Zeichnung hingegen … Mein erster Gedanke damals war: Das ist nicht der Kerl, der dich verschleppt hat.«
    Bobby seufzte. Er brauchte eine eindeutigere Aussage. »Aber es wäre möglich, dass es dieselbe Zeichnung ist, die er dir in der Klinik gezeigt hat?«
    »Möglich wär's«, bestätigte sie. »Wer ist das?«
    »Annabelles Onkel, Tommy Grayson. Es hat sich herausgestellt, dass er sich ständig in der Nähe herumgedrückt hat, als Annabelle achtzehn Monate alt war. Ihre Familie floh seinetwegen von Philadelphia nach Arlington. Er hat sie wiedergefunden.«
    »Kannten sich dieser Tommy und Richard Umbrio?«
    »Davon wissen wir nichts. Die Idee, eine unterirdische Kammer zu benutzen, hat sich Tommy vielleicht von Umbrio abgeschaut, als er die Berichte über den Fall im Fernsehen gesehen hat.«
    »Freut mich, dass ich helfen konnte«, erklärte Catherine sarkastisch.
    Bobby kannte sie

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