Kühlfach betreten verboten
Natürlich hatte ich gehofft, dass die Bonsais langsam aus ihrer Schockstarre erwachten, aber so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Das Mamasöhnchen stellte sich als rassistisches Arschloch heraus, die klugscheißernde Zahnspange war zumindest verbal eindeutig frühreif, und Jo, der Schlichter, schwafelte schon wie ein Schulpsychologe,bevor er den letzten Milchzahn ins Klo gespuckt hatte. Nur das Kümmelchen schien seelisch einigermaßen stabil zu sein. Vielleicht lag das an der Fettschicht auf seinen Rippen, die nicht nur gegen Kälte, sondern auch gegen seelische Grausamkeiten isolierte?
»Kamelscheiße«, brummte Bülent.
Okay, er teilte meine Meinung offenbar nicht.
»Wenn ihr eure kindischen Ich-hab-die-meiste-Scheiße-in-der-Windel-Spiele jetzt mal für einen Augenblick vergessen könntet, könnt ihr mir bei meinen Ermittlungen helfen«, sagte ich streng.
»Scheiße sagt man nicht«, rügte Edi.
»Lass ihn«, flüsterte Jo ihr zu. »Der braucht das, um sich wichtig zu fühlen.«
»Also selber kindisch«, flüsterte Edi zurück.
Ich tat so, als hätte ich nichts gehört, sonst kämen wir nie voran. Die Bonsais raubten mir auch so den letzten Nerv.
Wir flogen zum Polizeipräsidium und direkt vor die Pinnwand im LAZY.
»Oh, Mann«, flüsterte Jo entsetzt, als er die Fundortfotos von Yasemins Leiche sah. Wenn er bei ein paar Fotos schon so in den Seilen hing, war es sicher eine gute Idee gewesen, die Bonsais nicht ins Rechtsmedizinische Institut mitzunehmen, um die Tussi in echt zu identifizieren. Vor allem, da sie mit dem riesengroßen Y-Schnitt vom Hals bis unter den Bauchnabel und mit dem Schnitt über die Kopfhaut von Ohr zu Ohr besonders mitgenommen aussah.
»Was hat die denn mit Frau Akiroglu zu tun?«, fragte Edi. Sie bemühte sich ganz offensichtlich um Fassung, wie die ganze Zeit schon, aber auch ihre Stimme hüpfte und kiekste.
»Das will ich ja von euch wissen. Habt ihr die beiden mal zusammen gesehen?«
Allgemeines Kopfschütteln.
»Bülent, du kennst doch sonst alle Türken.«
»Quatsch, doch nicht alle. Die jedenfalls nicht.«
Seine Stimme klang gepresst. Ich war mir nicht sicher, ob er die Wahrheit sagte, hätte aber auch keinen Grund gewusst, warum er lügen sollte.
»Diese Schülerin trug einen Zettel mit der Handynummer von Sibel Akiroglu mit sich herum«, erklärte ich. »Deshalb nimmt die Kripo an, dass die beiden sich kannten. Sie sind vielleicht zur selben Zeit verschwunden beziehungsweise ermordet worden. Auf jeden Fall ergibt sich die Vermutung, dass die beiden Fälle etwas miteinander zu tun haben.«
Bülent hatte inzwischen das Foto entdeckt, auf dem der Zettel mit dem Wort »Schlampe« deutlich zu erkennen war. Er wurde so blass, dass er praktisch durchscheinend war.
»Was ist?«, fragte ich.
»Das haben die auch zu meiner Schwester gesagt.«
»Zu der Hübschen ohne Kopftuch?«, fragte ich.
Bülent nickte.
»Was heißt das denn?«, fragte Edi, die hinter Bülent aufgetaucht war und nun auch auf das Foto starrte. Bülent schwieg.
»Wer?«, hakte ich nach.
»Jungs aus der Moschee.«
»Nun sag schon«, drängelte nun auch Jo. »Was heißt das?«
Bülent kniff die Lippen zusammen.
»Zeig mir die Jungs aus der Moschee«, forderte ich ihn auf.
»Übermorgen, zum Freitagsgebet. Dann sind alle da«, murmelte er.
Ich nickte. Wir suchten auf der Pinnwand nach weiteren Hinweisen, fanden aber nichts und wollten gerade abdüsen, als Jenny mit dem Foto von Mehmet hereinkam.Sie pinnte es schräg unter das Foto von Yasemin, schrieb »Bruder: Mehmet – verschwunden«, darunter und verließ den Raum.
»Der da, der war auch bei den großen Jungs aus der Moschee«, flüsterte Bülent.
Ach du dickes Rohr. Wie passte das jetzt alles zusammen? Ich musste unbedingt in Ruhe nachdenken, musste die Nervensägen loswerden, die einfach die Sabbel nicht halten konnten. Edi quengelte, weil sie wissen wollte, was auf dem Zettel stand, Niclas fand es cool, dass die ganzen doofen Türken sich gegenseitig umbrachten, und Jo versuchte zu schlichten. Ich brachte alle vier in die Klinik zurück, ließ mir das Versprechen geben, dass sie in ihren Zimmern und bei ihren Körpern bleiben würden, und schaltete mich weg.
Seit Ewigkeiten hatte ich nicht mehr so einen anstrengenden Tag gehabt. Da war meine Bitte um geistige Gesellschaft erhört worden, aber statt mir ein rassiges Weib oder einen coolen Kumpel zu schicken, hatte der liebe Gott oder das Schicksal (oder Marlene, ihr
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