Kühlfach betreten verboten
Yasemin. Siebzehn.«
»Haben Ihre Kinder sich gut verstanden?«
Herr Özcan nickte. Jenny, die ihre Untersuchung beendet hatte und zu ihnen in die Diele gekommen war, zog eine Augenbraue hoch. Gregor klappte seinen Notizblock zu, gab Herrn Özcan seine Karte und verließ mit Jenny die Wohnung. Yasemins Mutter, die im Wohnzimmer von mehreren heulenden Kopftuchtanten umgeben war, bekam ihren Abgang gar nicht mit.
Ich war inzwischen ziemlich durcheinander. Wir hatten eine tote Türkin mit einem verschwundenen Bruder und eine verschwundene Türkin mit einem chaotischen Bruder und die beiden Frauen hatten irgendetwas miteinander zu tun. Aber was? Vielleicht kannten die Kinder die Tote?
Andererseits war die viel wichtigere Frage, wo die Lehrerin abgeblieben war, denn um sie schien sich niemand so richtig zu kümmern. War die Lehrerin Zeugin des Mordes und hatte sich aus Angst nun versteckt? Oder war sie wirklich entführt worden, wie Edi glaubte? Oder … hatte die Lehrerin Yasemin umgebracht? Die beiden hatten sich telefonisch verabredet, sie hatten sich getroffen, und nur die Lehrerin war auf eigenen Beinen wieder weggegangen. Das war am Montag gewesen, denn seit Montag war Yasemin verschwunden. Dann hatte die Lehrerin eine Nacht drüber geschlafen, war mit ihrer Klasse ins Museum gefahren, dann mit einer Ladung Kinder im Auto gegen die Brücke gerauscht und anschließend geflohen, wobei sie sich trotz Schleudertraumas einfach in Luft aufgelöst hatte. Okay, dasklang unwahrscheinlich. Aber was sonst hatten die beiden miteinander zu tun?
Alle diese Fragen konnte ich nicht selbst klären, und ich konnte Gregor nicht direkt fragen, weil ich ja nicht mit ihm quatschen kann. Also musste Martin sich dringend mal wieder mit seinem besten Freund treffen, um diese Fragen zu stellen. Ich würde ihn gleich mal auf die Spur setzen.
Bevor ich Martin nun allerdings in der Rechtsmedizin belästigte, wo er immer sehr kurz angebunden ist und mich oft mit irgendwelchen ekligen Dingen nervt, wie zum Beispiel Darmschlingen aufschlitzt, um irgendwelche Gegenstände zu suchen, die der Verstorbene verschluckt hat, machte ich lieber noch einen Abstecher zur Uniklinik. Natürlich in der Hoffnung, dass ausnahmsweise gerade mal keine Vorlesestunde war. In dieser Hinsicht hatte ich Glück.
Stattdessen war Visite. Ein ganzer Haufen Weißkittel stand im Zimmer von Niclas und Bülent und operte lateinisches Zeug. Sie gingen nicht gerade zimperlich mit den Kids um, denn sie hatten ihnen die Schlafanzughemden hoch- und die Hosen heruntergeschoben und drückten und klopften und horchten an allen möglichen Stellen herum. Sie rissen ihnen die Sehdeckel auf, leuchteten in die Augen, griffelten den ganzen Schädel ab, pieksten in die Zehen, hämmerten gegen die Knie und lauter solche Sachen, gegen die die Jungs sich ja nicht wehren konnten.
Die vier Seelchen hingen über dem medizinisch eingebildeten Schwarm und ärgerten sich gegenseitig.
»Boa, bist du fett«, sagte Niclas zu Bülent.
»Und du hast X-Beine «, giftete Bülent zurück.
»Du hast voll die Fettrollen. Du kannst bestimmt deinen Pipimann gar nicht sehen.«
»Das sagt man nicht«, rügte Edi, während Bülent in einer roten Wut- und Schamwolke um sich selbst kreiselte.
»Igitt, ein Mädchen«, schrie Niclas. »Hau ab, du darfst das hier gar nicht sehen!«
»Wäre das nicht eigentlich Bülents Text gewesen?«, murmelte ich.
»Mann, glaubst du, wir leben hinter dem Mond, du Weichei?«, brummte Bülent.
»Nein, ich dachte nur, bei euch dürften Jungs und Mädchen nicht …«
»Das passiert erst, wenn die Mädchen in die Pubertät kommen«, erklärte Edi ernst.
Die Jungs wurden knallrot.
»Ich will jedenfalls nicht mit dem da in einem Zimmer liegen. Immer sind tausend Weiber hier, die einen Lärm machen wie auf einem türkischen Basar«, maulte Niclas. »Meine Mama hat gesagt …«
»Deine Mama ist eine doofe Ziege«, unterbrach ihn Bülent. »Sie hat meine Mama angeschrien, dass sie nach Knoblauch stinkt.«
»Die stinkt ja auch.«
»Deine Mutter stinkt ja noch viel schlimmer nach dem klebrigen Zeug, das sie sich auf die Haare sprüht.«
»Das hat was mit Sauberkeit zu tun«, brüllte Niclas. »Aber davon versteht ihr ja nix.«
»Ruhe«, brüllte ich.
Niclas brach in Tränen aus, Edi presste die Lippen aufeinander, Bülent schwieg beleidigt und Jo schüttelte enttäuscht den Kopf. »Es hilft echt keinem, wenn wir uns hier auch noch streiten.«
Na super.
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