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Kühlfach betreten verboten

Kühlfach betreten verboten

Titel: Kühlfach betreten verboten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Profijt
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während er die andere Hand nicht von Jos Arm nahm. Keine Millisekunde lang.
    »Nicht schon wieder Vorlesestunde«, stöhnte ich. »Mitkommen!«
    Jo schüttelte den Kopf. »Ich bleibe bei Pa.«
    »Ich auch«, fügte Edi hinzu.
    Hätte ich mir ja denken können. Die Klette hatte sich wie mit Tintenfischtentakeln an Jo förmlich festgesaugt. Na gut, dann war eben als Nächstes die Kümmelconnection dran. Ich zischte ein Zimmer weiter und traf Bülent an seinem Bett an. Vier Frauen, davon drei mit Kopftuch, tummelten sich an seinem Bett. Die Mutter (mit Kopftuch), saß auf dem Stuhl und hielt Bülents Hand, zwei vermutlich fünfzehnjährige Tussen (mit Kopftüchern) hockten am Fußende des Bettes und lasen bunte Promiblättchen, die vierte (ohne Kopftuch) lehnte an der Fensterbank und glotzte in die trübe Novembernebelsuppe. Sie war mindestens zwanzig, hatte knallrot geschminkte Lippen, schwarz umrandeteAugen und schmollte. Schnuckeliges Schneckchen, wenn man auf den Businesslook in schwarzem Nadelstreifenanzug und weißer Rüschenbluse steht.
    »Wer sind die Haremstanten?«, fragte ich Bülent.
    »Ey, wieso Harem, Alter?«, fragte Bülent zurück.
    Nanu, seit wann plauderte das Kümmelchen kanakisch?
    »Du kannst mich mal«, blaffte er.
    »Wenn du mich blöd anmachen willst, hast du dir den Falschen ausgesucht, denn ich bin hier der Chef.«
    Ich konnte spüren, wie dem Kümmelchen die Luft ausging.
    »Okay, Mann«, murmelte er. »Mein großer Bruder war eben hier, der macht mich immer ganz verrückt.«
    »Zieht er diese Kanakennummer ab?«, fragte ich.
    »Hm.«
    Mein Kümmelchen stürzte sich schniefend in Richtung von Mamas wallenden Gewändern, und ich kam mir ziemlich überflüssig vor. Wie so oft in solchen Fällen zog es mich zu Martin und Birgit, die, obwohl die eine es nicht wusste und der andere es nicht wollte, meine Familie waren. Die beiden hatten sich, wie meistens, zum Mittagessen verabredet, das, wie ebenfalls meistens, deutlich nach Mittag stattfand.
    Sie hockten in einem Restaurant, das ich zu Lebzeiten mit Sicherheit nie betreten hätte. Es war natürlich asiatisch, das war es bei Martin ja fast immer, weil er Vegetarier ist. Außerdem war es winzig klein, die Tische standen so eng zusammen, dass sich jeder problemlos aus dem Reisschälchen des Nachbarn bedienen konnte, und es gab kein normales Besteck. Auch nicht auf Nachfrage. Martin fand es super, ich fragte mich, warum ein Angehöriger einer zivilisierten, westlichen Industrienation, die schon vor Jahrhunderten das Besteck erfunden hat, sich in einer schmuddeligen Dritte-Welt-Kantine mit übergroßen Zahnstochern durchfrisst.Hatte er ein schlechtes Gewissen, weil er sich satt essen konnte, während woanders die ganzen kleinen Schlitzaugen verhungerten? Taten die das überhaupt? Waren die Kinder mit den Hungerbäuchen in den Nachrichten nicht immer schwarz?
    Ich kapierte es nicht, aber noch viel weniger kapierte ich, dass Birgit diese Selbstkasteiung mitmachte. Heute schien sie allerdings nicht begeistert von dem, was auf ihrem Teller lag. Für mich sah es sowieso aus, als wäre das alles schon mal gefuttert, aber das ging mir bei diesem asiatischen Fraß immer so. Martin jedenfalls mampfte mit Begeisterung, bis er Birgits unglücklichen Gesichtsausdruck bemerkte. Sofort ließ er die Stäbchen sinken und legte seine Patschefinger auf Birgits Hand.
    »Ist dir nicht gut?«, fragte er.
    Birgit ist gut, dachte ich. Das Essen ist das Problem, Mann!
    »Nein, ich weiß auch nicht, was los ist. Eben wäre ich fast gestorben vor Hunger, aber jetzt kann ich keinen Bissen davon herunterbekommen.«
    Reiner Selbstschutz, liebe Birgit, rief ich ihr zu. Vertrau deinen Instinkten!
    »Du bist auch ganz blass. Vielleicht ein Infekt?«, murmelte Martin.
    »Keine Ahn–«, begann Birgit, dann sprang sie von ihrem klapprigen Stuhl auf und stürzte, mit der Hand vor dem Mund, in Richtung Damenklo. Martin hinterher. Vor der Tür mit dem wackelig aufgemalten D blieb er stehen. Da die Tür genau wie alles andere in dieser Bude so primitiv war wie Plastikspielzeug aus Taiwan, konnte er sich zumindest mit den Horchbrettern ein sehr genaues Bild davon machen, was im Damenklo vor sich ging: Birgit kotzte sich die Seele aus dem Leib.
     
    Martin hob die Hand, um zu klopfen.
    »Geh rein, Mann!«, forderte ich ihn auf.
    »Aber wenn eine andere Frau   …«
    Ich zischte ins Damenklo. Birgit kniete vor einer Kloschüssel und würgte. In der Kabine daneben hockte eine alte,

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