Kühlfach betreten verboten
Edi auf die Idee kam, mit ihnen schwimmen zu gehen.
»Hast du denn dein Seepferdchen?«, fragte ich.
Sie drehte mir eine lange Nase.
Interessanterweise hielt niemand sie zurück, als sie vorsichtig die Wasseroberfläche berührte und dann langsam abtauchte.
»Es ist ganz pricklig«, erklärte sie auf Jos Nachfrage. »Aber gar nicht nass.«
Blödsinn, dachte ich, natürlich ist es unter Wasser nass, aber sie bestand darauf, es nicht so zu empfinden. Gut, dann eben nicht. Wir beobachteten, wie Edi hinter den Fischen herpaddelte, wobei ihre Gestalt, die wir außerhalb des Wassers klar sehen konnten, jetzt ziemlich aufgelöst wirkte.
»Was haben wir bisher in unseren Ermittlungen erfahren?«, fragte Jo, als das Ins-Wasser-Starren langweilig wurde.
Ich berichtete von Yasemin, ihrem verschwundenen Bruder, von Sibels Handynummer, die Yasemin bei sich trug, von Sibels Bruder, der mit Drogen dealte und angeschossenworden war. Außerdem von Zeynep, Yasemins Klassenkameradin, die jetzt auch tot war, und von Doktor Christian Seiler, genannt Tristan, der zusammengeschlagen worden war.
Jo blies die Backen auf und seufzte. »Ziemlich verwirrend das alles, oder?«
Alle murmelten oder brummten Zustimmung. Edi tauchte wieder auf, kicherte, als sie in den Sauerstoffeinblasstrahl des Aquariums geriet, und kam zu uns vor die Scheibe. Sie tropfte nicht. Logo. Es war ja auch nicht nass gewesen. Hahaha.
»Solange wir nicht wissen, wie die einzelnen Fälle zusammenhängen, wäre es vielleicht ganz gut, wenn wir die Entführung unserer Lehrerin einzeln betrachten«, sagte sie, während sie so tat, als schüttele sie sich wie ein Hund, der im Ententeich Küken gejagt hat.
Jo spielte grinsend mit und wischte sich imaginäres Wasser aus dem Gesicht. Bülent zog die Augenbrauen zusammen und sah aus, als dächte er scharf nach, nur Niclas plärrte ein »Schwachsinn« in den Raum. »Dann sind wir ja schnell fertig. Sie wurde entführt, niemand hat den Entführer gesehen und keiner weiß, warum. Und jetzt?«
Bülents Grimassen gerieten in Wallung. »Sie wurde entführt von jemandem, der ein großes dunkles Auto fuhr und nach Kreide roch. Und sie ist jetzt getauft. Und sie wollte Herrn Bieberstein heiraten. Und sie hat in diesem Kirchenasyl gearbeitet. Das sind alles Sachen, die wir vorher nicht wussten.«
Er dachte einen Augenblick nach.
»Oh, Mann, ich bin sicher, meine Mama weiß bis jetzt nichts von der Taufe. Und von der Heirat. Und von dem Kirchenasyl.«
»Genau«, sagte Jo. »Sehr gut, Bülent.«
»Super«, sagte Edi.
Bülent wurde rot.
Niclas schmollte.
Ich war mir nicht sicher, ob dieser Ermittlungsansatz besonders vielversprechend war, aber eins war er ganz sicher: Er war die einzige Idee, die wir hatten. Also sprach nicht wirklich etwas dagegen, das Kirchenasyl noch mal genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn das war etwas, wie Bülent uns gerade sehr deutlich gemacht hatte, was die muslimische Umgebung von Sibel Akiroglu schwer schockieren musste: ihr Übertritt und ihr Engagement in einer christlichen Glaubensgemeinschaft.
Dieses Mal enterten wir das alte Pfarrhaus gleich durch ein Fenster im ersten Stock. Das wäre nicht nötig gewesen, wir können ja auch durch die Wand zischen, aber es ist schon angenehmer, wenn man sieht, wo man hinfliegt. Sonst landet man vielleicht in der Mikrowelle, und das ist wirklich eklig. Echt. Sollten Sie nicht ausprobieren.
Ich weiß nicht genau, was ich erwartet hatte, aber bestimmt keine fleißigen Büffelchen, die am Esstisch saßen und lernten. Sie hatten Bücher und Hefte vor sich liegen und erledigten still ihre Aufgaben oder tuschelten leise miteinander. Aber auch die Tuscheleien bezogen sich nicht etwa auf die Frage, ob sie sich von einem Vampir beißen lassen sollten, sondern ausschließlich auf die Schulaufgaben. Mir wurde ganz schlecht beim Zusehen.
»Was ist denn hier los?«, meckerte auch Niclas. »Sind die echt alle beim Lernen, oder was?«
»Und warum nicht?« Das kam natürlich von Edi.
»Weil das uncool ist«, entgegnete Niclas.
Während Edi und Niclas einen Streit über die Freude am Lernen und die Sinnhaftigkeit von Rechtschreibung ausfochten, waren Jo und Bülent ungewohnt still. Ich schwenktemeine Aufmerksamkeit in ihre Richtung und landete zuerst bei Jo. Der war offenbar in spontaner Liebe zu einer Tussi entbrannt, die kleineren Kindern bei den Hausaufgaben half. Okay, sie sah nett aus, wenn man auf den Typ Primatentussi steht.
Ihre Gesichtsbehaarung
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