Kühlfach betreten verboten
Rektor Bieberstein.
»Ja, ja, aber das ist nicht richtig«, sagte Bieberstein gerade, als ich in Edis und Jos Zimmer ankam. »Sie hat keine Fahrerflucht begangen. Bestimmt nicht.«
Edi und Jo hingen über Edis Mutter und Jos Vater. Jos Mutter stand Bieberstein gegenüber und drohte ihm mit dem Zeigefinger.
»Ich habe bereits Anzeige gegen diese Frau erstattet, und ich werde, auf Anraten meines Anwalts, auch Anzeige gegen die Schule erstatten.«
Bieberstein wurde blass. »Ich kann Sie nicht davon abhalten, aber ich sage Ihnen nochmals …«
»Sophie, bitte …«, murmelte Jos Vater.
»Nein, Bernd, das ist jetzt nicht die Zeit, um Rücksichten auf andere zu nehmen. Es geht immerhin um Johannes-Marius.«
»Nein, um ihn geht es eben bei dem, was du tust, überhaupt nicht«, widersprach Jos Vater. »Johannes-Marius ist nicht damit gedient, dass du irgendjemanden verklagst. Das hilft ihm in dieser Situation doch nicht weiter.«
Das schöne Biest heftete den Blick ihrer grünen Augen auf den armen Gatten. Ich erwartete, die bekannten roten Laserpunkte auf seiner Stirn zu sehen, aber so weit war ihr böser Blick wohl doch noch nicht entwickelt.
»Du machst mir Vorwürfe? Das wird ja immer besser! Du hast, ohne mich zu fragen, mehrfach zugelassen, dass ein Ausländer Johannes-Marius nach Hause fährt. Und dieser Mensch hat nichts Besseres zu tun, als seinerseits die Verantwortung auf eine junge Frau abzuschieben, die nicht nur einen Unfall verursacht, sondern dann auch noch feige verschwindet und die ihr anvertrauten Kinder im Stich lässt. Hättest du deine Verpflichtung als Vater nicht an wildfremde Menschen abgetreten, wäre das alles gar nicht passiert.«
Edis Mutter stand leise auf und verließ auf Zehenspitzen den Raum. In ihren Augen schimmerten Tränen.
»Frau Akiroglu ist nicht feige. Sie wurde entführt«, jammerte Edi, aber natürlich konnten die Erwachsenen sie nicht hören.
Ich musste an das Ohr denken, das im Kühlschrank ihres Bruders lag.
»Ein Ohr?«, kreischte Edi. »Etwa von Frau Akiroglu?«
Mist, das Gör bekam aber auch wirklich alles mit, was ich dachte. »Keine Ahnung«, sagte ich lahm, aber sie hatte natürlich längst kapiert, dass ich sehr wohl davon ausging, dass es das Ohr ihrer Lehrerin war.
»Ich kann Ihnen versichern, dass sowohl Herr Dogan als auch Frau Akiroglu sehr zuverlässige und vertrauenswürdige …«, begann Herr Bieberstein, aber gegen Jos Mutter hatte er keine Chance. Das sagte auch der Blick von Jos Vater, der resigniert den Kopf schüttelte.
»Erzählen Sie mir nichts von Zuverlässigkeit. Ein Wunder, dass die Kinder noch leben«, zischte Jos Mutter mit eisiger Stimme.
»Ich kann es mir nicht erklären …«, wiederholte Bieberstein. »Es muss etwas passiert sein. Sie würde …«
»Und was, bitte schön, soll denn passiert sein?«, fragte sie mit beißendem Spott in der Stimme. »Ist sie vielleicht von Außerirdischen entführt worden?«
»Sie ist entführt worden und jetzt wird sie zerstückelt«, schrie Edi dazwischen. »Du doofe Ziege, hör auf, auf Frau Akiroglu herumzuhacken!«
Oho, dachte ich mir und wartete auf Jos Reaktion, mit der er sich die Bezeichnung seiner Mutter als doofe Ziege verbat, aber er schwieg. Vermutlich fand er, dass Edi recht hatte. Höchstwahrscheinlich fanden alle Anwesenden, dass sie recht hatte.
»Wir müssen den Entführer finden«, sagte Edi in einem Tonfall, wie ich ihn nur von Actionhelden aus dem Kino kenne, wenn sie sagen: »Ich werde dich töten, und wenn es das Letzte ist, was ich in meinem Leben tun werde.«
Endlich!, dachte ich. Vielleicht kämen wir ja mal ein paar Schritte voran, wenn die Fruchtzwerge ihren Arsch hochbekämen und mir bei meinen Ermittlungen helfen würden, statt es sich immer nur in Mamas Bauchfalte gemütlich zu machen und zu winseln.
»Na toll, ich nehme jeden Vorschlag entgegen«, sagte ich. »Los, Edi Einstein, wo fangen wir denn an zu suchen?«
Edis Geistgestalt, die vor Wut über Jos Mutter eben noch hellrot geglüht hatte, sackte in sich zusammen. »Weiß ich auch nicht.«
Ich seufzte. Damit waren wir mal wieder am Anfang angekommen.
Ich holte auch Niclas und Bülent und hatte den Eindruck, dass beide inzwischen von dem familiären Sonntagspicknick in ihrem Zimmer die Nasen voll hatten. Sie waren so gelangweilt, dass sie sich nicht einmal mehr stritten. Wir trafen uns alle fünf vor dem Aquarium in der Cafeteria. Eine Zeit lang glotzten wir einfach den Fischen zu, bis
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