Kühlfach betreten verboten
worden sei zwecks Entsorgung. Der Rhein fließt, grob gesagt, nach Norden. Hinter Köln kommt also zum Beispiel Düsseldorf. In Düsseldorf gibt es allerdings ein eigenes Rechtsmedizinisches Institut. Wenn die Leiche also, wie Katrin vermutete, in Köln in den Rhein geworfen und Richtung Düsseldorf gespült worden war, wäre es sehr unwahrscheinlich, dass sie jetzt hier im Posteingang auftauchte. Sie würde bei den Kollegen rheinabwärts landen.
Martin schaute auf den Lieferschein. »Schleiden.«
»Wo zum Geier …«
»In der Eifel.«
Das musste ich erst mal verarbeiten.
»Bevor du irgendwas verarbeitest, solltest du dich um die Kinder kümmern«, sagte Martin.
Ich war mit den Gedanken nicht ganz bei der Sache, brachte Martin aber auf den aktuellen Stand: Bülent da, wo er hingehörte, Niclas völlig verschwunden, Jo und Edi vermutlich bei Mariam. Dann erklärte ich Mariams derzeitigeSituation und stellte die entscheidende Frage: »Wo kann sie sein?«
Martin überlegte einen Augenblick mit seiner professionellen, naturwissenschaftlichen Hirnhälfte unterstützt von seinem empathiefähigen Speckbauch und sagte: »Bei Yasemins Eltern.«
Ich diskutierte nicht lang herum, obwohl ich nicht den Schimmer einer Ahnung hatte, was sie dort tun sollte, aber da ich innerhalb von Sekundenbruchteilen dort und – im Zweifelsfall – wieder zurück sein konnte, war es einen Versuch wert.
Sie war da. Mariam und Mehmet saßen auf der Couch, Yasemins Vater im Sessel ihnen gegenüber, und die Mutter klapperte in der Küche herum. Und das Wichtigste: Jo und Edi schwirrten über der Couch herum.
»Hey, ihr zwei Gespenster, mitkommen, jetzt wird aufgewacht«, rief ich.
Mehmet heulte. »Ich habe nichts gewusst, Vater, wirklich nicht«, schluchzte er.
»Yasemin war immer sehr verschlossen«, flüsterte Mariam. »Das habe ich so an ihr gemocht. Sie verriet niemals ein Geheimnis, und sie sagte niemals etwas, was jemandem hätte schaden oder ihn hätte verletzen können. Es tut mir so leid.«
»Ich bleibe bei Mariam«, verkündete Jo.
»Ich bleibe bei Jo«, verkündete Edi.
Das konnte ja heiter werden. Was sollte ich machen, wenn die zwei sich einfach verweigerten? Unter uns ging das andere Drama seinen Gang.
»Hast du ihr die Telefonnummer von dieser Lehrerin gegeben?«, fragte der Vater weiter.
Mariam schüttelte den Kopf. »Nein, aber Sibels Nummer war einfach zu erfahren. Sie ging in die Schulen und fordertealle Leute auf, sich bei ihr zu melden, wenn sie Hilfe bräuchten. Im Schulsekretariat kann Yasemin die Nummer bekommen haben. Sie könnte auch im Kirchenasyl angerufen und sie dort erfahren haben.«
Ich wurde langsam nervös. »Ihr habt wohl nicht ganz geriffelt, was ich euch gesagt habe, ihr Früchtchen. Wenn ihr nicht furchtbar zackig bei euren Körperchen erscheint, seid ihr tot! Und diesmal nachhaltig.«
»Quatsch«, sagte Jo geistesabwesend. Er umflirrte Mariam, als wolle er eins mit ihr werden.
»Äh, Jo, vielleicht sollten wir doch …?«, sagte Edi vorsichtig. Aha, wenigstens Edi Einstein hatte kapiert, was hier ablief.
»Wer hat meine Tochter getötet?«, fragte der Vater.
»Ich weiß es nicht«, sagte Mariam.
Mehmet schwieg. Ich war sicher, dass er etwas wusste. Seit ich wusste, dass der Penner aus der Eifel kam, war ich mir sogar sicher, dass Mehmet den gleichen Täter im Verdacht hatte wie ich, aber das war im Moment alles egal, denn aktuell hatte ich ein ganz anderes Problem. Wenn ich die Bonsais nicht wieder in ihre Körper stopfen konnte, würden sie vielleicht auf ewig hier bei mir herumhängen. Ich hätte nie wieder meine Ruhe. Und wenn jemals die granatengeile Tussi bei mir aufschlägt, die ich mir seit Ewigkeiten herbeiwünsche, würde sie sicher nicht bei mir bleiben, solange mir vier quengelnde Rotznasen am Arsch hingen.
»Jo, wenn du jetzt nicht mitkommst, wirst du deinen Vater nie wiedersehen.«
»Ich kann Mariam doch jetzt nicht allein lassen«, erklärte Jo.
Der Typ wurde später bestimmt Pfarrer oder Bewährungshelfer oder der neue Messias, aber damit er überhaupt was werden konnte, musste ich ihn irgendwie dazu bringen, dass er sich hier wegschaltete.
»Sie weiß nicht, dass du hier bist, sie weiß nicht einmal, dass du existierst. Was du ja auch nicht wirklich tust. Wenn du aber jetzt mitkommst, dann wachst du gleich wieder in deinem Körper auf und dann kannst du sie wiedersehen. Und das Beste ist: Sie kann dich auch sehen. Und mit dir sprechen.«
Jo wurde
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