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Kühlfach betreten verboten

Kühlfach betreten verboten

Titel: Kühlfach betreten verboten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Profijt
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aber immerhin meine Gedanken mitbekommen, und kreiselte aufgeregtum mich herum. »Weiß nicht«, brabbelte er. »Tut das weh?«
    Es dauerte einen Moment, bis ich kapierte, was er meinte. »Keine Ahnung«, musste ich zugeben. »Wir müssen die anderen holen.«
    Wir hatten Jo und Edi bei Mariam zurückgelassen, nachdem Gregor die Befragung beendet hatte, aber das war vierzehn Stunden her. Ich wusste noch nicht einmal, ob Mariam in irgendeinem Knast saß oder auf freiem Fuß war oder abgeschoben. Wir düsten gemeinsam, so schnell wir konnten, ins Polizeipräsidium. Niemand da. Mist.
    »Vielleicht ist Mariam wieder im Kirchenasyl«, schlug Bülent vor, also düsten wir dorthin. Ebenfalls Fehlanzeige.
    »Im Abschiebeknast am Flughafen?«
    »Wir haben keine Zeit, die ganze Stadt nach den beiden abzusuchen«, maulte ich. »Außerdem fehlt uns auch noch Niclas. Du fliegst in die Uniklinik. Vielleicht sind die anderen schon dort, gib mir Bescheid. Du bleibst auf jeden Fall bei deinem Körper, egal, was passiert. Ich suche weiter.«
    Bülent wollte widersprechen, dachte dann aber an die Möglichkeit, endlich wieder die Piden und Böregi und Köfte und Milchreisröllchen seiner Mama zu futtern, und überlegte es sich anders. Er zischte los. Jetzt war ich ganz auf mich allein gestellt. Ich hatte nicht den Schimmer einer Ahnung, wo ich suchen sollte.
     
    Ich irrte vom Polizeipräsidium zum Flughafen und weiter zu dem Platz, an dem Yasemins Leiche gefunden worden war und wo inzwischen haufenweise Kerzen, Teddys, Blumen und anderes Zeug herumlagen. Keine Mariam, also auch kein Jo und somit keine Edi. Auf diese Weise würde ich sie nicht finden. Ich brauchte Hilfe.
    Martin ist für diese Art von Hilfe genau der Richtige. Er ist der Frauenversteher schlechthin. Wenn es jemanden gibt,der sich in die pubertäre Gefühlswelt einer sechzehnjährigen Iranerin in Abschiebehaft versetzen kann, dann er. Also los ins Rechtsmedizinische Institut.
    Ich kam gerade mit einem Kollegen an, genauer gesagt mit einer Leichenlieferung. Martin spielte den Rezeptionisten.
    »Legen Sie ihn hierher, okay, danke. Papiere? Danke.«
    Der Neuzugang stank bestialisch. Das lag sicher daran, dass er bereits einige Zeit tot war, denn die ganz Frischen sind zwar ansteckungstechnisch gesehen saugefährlich, stinken aber noch nicht so schlimm. Dieser hier jedenfalls war eine Zumutung, was er aber zu Lebzeiten vermutlich auch schon gewesen sein muss. Seine Klamotten, seine abgelatschten Schuhe, die Zeitungen zwischen den zwei Wintermänteln und die verfilzten Haare ließen vermuten, dass wir einen Penner vor uns hatten. Keinen von denen, die mit einer BahnCard 100 ohne festen Wohnsitz, aber im Veloursessel durch die Republik sausen, sondern einen altmodischen Brückenpfeiler. Jetzt begann wieder die Zeit der toten Vögel, denn zum ersten Mal in diesem Jahr waren die Temperaturen unter minus zehn Grad gefallen. Aber ich war nicht hier, um über die Sterblichkeit von Obdachlosen zu philosophieren, sondern um Martins weibliche Seite hervorzulocken. Ich holte also quasi Luft, obwohl man das zum Denken ja nicht braucht, als ich genau diese nicht geholte Luft anhielt. Vor Überraschung. Dem Penner auf dem Edelstahltisch unter mir fehlten die Ohren.
    »Stimmt«, sagte Martin, nachdem er von seinen Papieren weg und bei der Leiche etwas genauer hingesehen hatte.
    Wenn es um seine Arbeit geht, ist er ziemlich auf Zack, deshalb schaltete er auch gleich. »Die Ohren, die wir gestern untersucht haben!«
    Die Rechtsmediziner sind, obwohl sie normalerweise kein Platzproblem in ihren Kühlfächern haben, geizig, wasdie Kühlkästen angeht, und so werden Kleinteile wie zwei einzelne Ohren nicht in ein großes Kühlfach gelegt, obwohl ich das witzig fände. Sie bekommen ein Eckchen im Asservatenkühlschrank. Da liegen sie natürlich nicht offen drin herum, sondern ordentlich in einer Asservatendose verpackt. So eine Asservatendose haben Sie bestimmt auch im Kühlschrank, gekauft auf einer dieser Partys, auf der man keine Weiber aufreißt, sondern überteuertes Plastikgeschirr mit so unterirdischen Namen wie »Der große Eidgenosse« erwerben kann, stimmt’s? Martin wollte also schon die Frühstücksdose herausfingern, als mir noch eine Frage einfiel: »Wo kommt der Typ her?«
    Damit Sie den Gedankengang nachvollziehen können, aktivieren Sie bitte das, was Sie in Erdkunde gelernt haben. Köln liegt am Rhein, und Katrin hatte angedeutet, dass die ohrlose Leiche in den Rhein geworfen

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